Dr. Hutter, Neuauflage Chronik von Ockstadt

Für die Erforschung der Ortsgeschichte von Ockstadt ist die Chronik von Pfarrer Rady unerlässlich. Allerdings ist das 1893 erschienene Werk mindestens seit 1904 vergriffen. Der IT-Dozent Dr. Eric Hutter hat nun eine Neuausgabe besorgt und dank eigener Forschungen Lücken in der Überlieferung geschlossen. Beim Geschichtsverein Friedberg stellt er das Buch vor.

Dr. Eric Hutter. © Nicole Merz

Ockstadt gegen Ende des 14. Jahrhunderts: Die Herrn von Cleen haben eine imposante Burg gebaut, das Dorf, das im wesentlichen aus Hinter-, Bach- und Brunnengasse besteht, ist mit Schutzgräben umgeben. Die Bewohner, überwiegend Bauern, werden zur Tor- und Schlosswache verplichtet, am alten Rathaus steht ein Pranger, an dem »Malefizpersonen zum warnenden Exempel ausgestellt« werden.

Im benachbarten Friedberg blüht derweil der Handel. Auf dem »Stadtweg« (wohl der heutige Äppelwoiweg) sah man die Ockstädter Frauen »ihre kesse, buttern und anders, so man in Korben zu margt feiles kaufs zu tragen pflegt« nach Friedberg bringen. Die Reichsbürger waren dankbar für das frische Gemüse, gewährten den Ockstädtern Zollfreiheit.

Eines von mehreren Beispielen über das Verhältnis Ockstadts zu Friedberg, das Dr. Eric Hutter, Informatiker und Dozent an einer privaten Frankfurter Fachhochschule, am Donnerstagabend auf Einladung des Friedberger Geschichtsvereins im Klosterbau vorstellte. Lothar Kreuzer, Vorsitzender des Geschichtsvereins, war schon vor Hutters Vortrag voll des Lobes für Buch und Neuherausgeber: Hutter sei bei seinen Nachforschungen »systematisch, strategisch und hartnäckig« vorgegangen, habe ein auch optisch »sehr schönes Buch« vorgelegt. Kreuzer, ehemaliger Lateinlehrer, half bei der Übersetzung lateinischer Wörter.

Auf den Spuren eines alten Altars

Hutters Vortrag verdiente sich genauso viel Lob. Lebendig, anschaulich (mittels vielerauf Leinwand projizierter Fotos) und mit einem Sinn für Spannungsaufbau stellte er nicht nur die Chronik selbst anhand von Beispielen vor, sondern schilderte auch seine langwierigen und letztlich erfolgreichen Recherchen über einen fast vergessenen Altar.

Dazu muss man ausholen. Wie viele Exemplare der Chronik gedruckt wurden, ist nicht bekannt. Im Stadtarchiv Friedberg lagern immerhin sechs Exemplare, insgesamt konnte Hutter in Archiven und Bibliotheken in ganz Deutschland 19 Exemplare aufstöbern, eines hat es (darüber informiert eineigenes Kapitel des Buchs) gar in die Bibliothek von Harvard in den USA geschafft.

Stadtarchiv erwirbt das Handexemplar

Vor einiger Zeit konnte das Stadtarchiv eine Chronik erwerben; wie sich zeigte, war es keine reguläre Ausgabe, sondern das Handexemplar von Pfarrer Rady, samt Randnotizen und vier eingeklebten Illustrationen, darunter eine farbige Version des ehemaligen Schlosses der Herren von Cleen, das in der regulären Auflage der Chronik nur schwarz-weiß abgedruckt war. Ein Foto zeigt den Altar, der, wie Hutter recherchierte, einst in einer Kapelle des Hofguts Hasselheck im benachbarten Ober-Mörlen stand. Dafür trug er Indiz für Indiz zusammen. Auch die Herkunft des Altars konnte geklärt werden. Er stammt aus Kiedrich/Rheingau, steht heute in Mainz.

Es gäbe noch viel mehr vom Vortrag und von der Chronik zu erzählen, doch am besten liest man das selbst. Hutters Neuausgabe ist mehr als nur die Wiedergabe eines alten Textes, es ist ein Schatzkästlein der Heimatforschung, das beim Stöbern immer neue Fächer öffnet. Dank Hutters eigener Recherchen werden viele Lücken im Wissensstand geschlossen, ist die alte Chronik auch für Geschichts-Laien ein spannend zu lesendes Buch. Und ein schönes dazu. Radys Chronik ist als Faksimile abgedruckt; dass er sie einst in moderner Antiquaschrift drucken ließ, kommt unseren heutigen Lesegewohnheiten entgegen.

Die Neuausgabe der Chronik umfasst 420 Seiten. Der Geschichtsverein Ockstadt hat 500 Exemplare drucken lassen. Das Buch ist zum Preis von 19,90 Euro in der Buchhandlung Bindernagel in Friedberg erhältlich.

Das Verhältnis von Friedberg und Ockstadt

Dem Verhältnis zwischen Friedberg und Ockstadt widmete Dr. Eric Hutter einen Abschnitt seines Vortrag im Bibliothekszentrum Klosterbau (der, wohl aufgrund des Schneefalls, nur gut zwei Dutzend Gäste anlockte). Die Beziehungen waren (und sind) nicht immer konfliktfrei. So gab es im 16. Jahrhundert Grenzstreitigkeiten zwischen dem Ockstädter Standesherren Gottfried von Franckenstein und der Stadt Friedberg. Laut Pfarrer Radys Chronik »entsagte« jener Gottfried »nicht einer Handbreit Land«, wenn er ein Recht darauf hatte. Von Barthel von Franckenstein ist folgende Aussage überliefert: »Die Friedberger klagten häufig, dass herrschaftliche Leute und Diener ›sich des hassen und fuchshetzens‹« (der Hasen- und Fuchsjagd) »in ihrer Obrigkeit gelusten haben, während ihnen nicht gestattet sei(,) auf Ockstädter Gebiet ›einen spatz zu fahen‹« (wohl: fangen). Im 17. Jahrhundert gab es Streit um den jüdischen Friedhof in der heutigen Ockstädter Straße in Friedberg und einen Schindanger, sprich: um einen gemeinschaftlichen Platz eines Dorfes bzw. einer Stadt, auf dem das tote Vieh gehäutet und die Tierkadaver verscharrt oder Aasfressern überlassen wurden. Nach dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges näherten sich die beiden Nachbarn aber wieder an. Philipp-Christoph von Frankenstein ließ einen Vertrag aufsetzen, den beide Seiten unterzeichneten. Gibt es heutzutage Zwist zwischen dem großen und dem kleinen Nachbarn, wird dieser meist mit einem Augenzwinkern ausgetragen. In diesem Sinne wollte Geschichtsvereinsvorsitzender Lothar Kreuzer den Vortrag des Ockstädter Heimatforschers denn auch als »gelungenen Austausch« verstanden wissen. Am 27. Januar fährt der Geschichtsverein Friedberg auf den Spuren des oberhessischen Künstlers Otto Ubbelohde nach Goßfelden und Marburg (noch Plätze frei); am Donnerstag, 15. Februar (20 Uhr), berichtet Kreisarchäologe Dr. Jörg Lindenthal im Klosterbau über die jüngsten Ausgrabungen.

Wetterauer Zeitung, 23.01.2024

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