Wetterauer Geschichtsblätter Band 69

Alle Wege führen in die Wetterau

Die Wege des Herrn sind bekanntlich unergründlich, was aber nicht für die Wege der Menschheit gilt. Die lassen sich, selbst wenn sie lange nicht mehr began- gen wurden, noch nach Jahrhunderten wiederent- decken. Das zeigt der Diplom-Geograf und Geoinformatiker Dr. Karsten Brunk in Band 69 der Wetterauer Geschichtsblätter.

Viele alte Straßen, und mitten drin liegt Friedberg (v.l.): Reinhard Schartl, Autor Dr. Karsten Brunk, Katja Augustin, Johannes Kögler und Lothar Kreuzer mit einer der vier historischen Landkarten aus Band 69 der Wetterauer Geschichtsblätter. Foto: J. Wagner

Mit diesem Buch als Hintergrund lassen sich in der Wetterau und darüberhinaus Entdeckungen machen, die man nicht erwartet hätte. Etwa der Stundenstein an der Chaussee von Friedberg nach Selters, nordwestlich von Konradsdorf. Keine Kilometer oder Meilen sind auf ihm angegeben, auf dem Sandsteinpfeiler steht: »Von Friedberg 6 Stunden«; bis Selters ist es nur eine halbe Stunde, bis Staden zweieinhalb. Daher der Name.

Oder man wandert auf dem Judenpfad von Münzenberg nach Rockenberg und entdeckt dort den Viehtrieb-Verbotsstein, dessen eingemeißelte Inschrift mit Strafen droht (»MIT VIEH BEI 5 fl« = Gulden), wenn hier Nutztiere durchgetrieben werden. Heute nutzt man dazu rot-weiße Verkehrsschilder, aus ästhetischer Sicht ein erheblicher Rückschritt.

Was es mit Viehtrieb, Schäden und überhaupt mit alten Verkehrswegen auf sich hat, erläutert Dr. Karsten Brunk im Band 69 der Wetterauer Geschichtsblätter. »Hohe Straßen, hohle Wege und frühe Kunststraßen des Rhein-Main- Gebietes in historischen Karten«, lautet der Titel. Brunk hat seit vielen Jahren ein Faible für die Altstraßenforschung, ist nicht nur viele Wege selbst abgelaufen, sondern erforscht sie auch. Brunk, gebürtiger Rodheimer und dort Vorsitzender des Geschichts- und Heimatvereins, arbeitet als Diplom-Geograf und Geoinformatiker, hat die westafrikanische Savanne, die Ost-Antarktis und große Teile von Oberhessen erforscht.

Am Dienstag wurde Band 69 der Presse vorgestellt, es ist (mal wieder) ein besonderer Band. Zum Buch, mit 365 Seiten gut 1,4 Kilo schwer, gehört auch ein Kartenband mit den Repliken von vier historischen Straßenkarten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die Karten laden zum Stöbern und Entdecken ein. Wo liefen einst alte Hohlwege? Wo wurden Chausseen angelegt?

Viele alte Straßen, und mitten drin liegt Friedberg (v.l.): Reinhard Schartl, Autor Dr. Karsten Brunk, Katja Augustin, Johannes Kögler und Lothar Kreuzer mit einer der vier historischen Landkarten aus Band 69 der Wetterauer Geschichtsblätter. FOTO: J. WAGNER

Vier historische Straßenkarten

Drei der vier Karten hat Brunk selbst erstellt, Johannes Kögler suchte und fand die geeignete Druckerei. Kögler: »Der Druck war eine Herausforderung.« Lothar Kreuzer, Vorsitzender des Friedberger Geschichtsvereins, der die Geschichtsblätter herausgibt, zeigte sich bei der Vorstellung von dem Buch begeistert. »Die Wetterau ist stark geprägt durch ihre Verkehrswege.« Aber nicht nur die habe Brunk in ihrem historischen Wandel akribisch beschrieben. Im ersten Teil, der gut ein Drittel des Bandes ausmacht, gibt er darüber hinaus einen handbuchartigen Überblick über das historische Kartenmaterial – für historisch Interessierte eine wahre Fundgrube an Entdeckungen, für Kreuzer eine »phänomenale Arbeit«.

Viele alte Straßen sind unter Baugebieten oder neuen Straßen verschwunden, andere, oft im Wald gelegen, haben überdauert. Diese historischen Elemente der Kulturlandschaft zu erfassen und dadurch hoffentlicht auch zu erhalten, das sei das Ziel seiner jahrelangen Forschungen zu diesem Thema, sagte Brunk.

Katja Augustin vom Vorstand des Geschichtsvereins fand beim Lektorat besonders die Kombination von Text und Fotos gut: »Plötzlich erkennt man: Diese Weggabelung ist Teil einer historischen Straßenverbindung.« Die mit Geschichte und Geschichten verbunden ist. Ein Beispiel nannte ihr Lektoratkollege Reinhard Schartl: Die »Butzbacher Meile« galt einst als eine der schlimmsten Straßen weit und breit, ihre baulicher Zustand muss schlimmer als die (alte) Ockstädter Ortsdurchfahrt gewesen sein. Die Bauern lehnten eine Sanierung ab, da ihnen sonst ein Zubrot wegbrechen würde: Gegen Bezahlung zogen sie regelmäßig Postkutschen aus dem Morast.

Band 69 der Wetterauer Geschichtsblätter

In Band 69 der Wetterauer Geschichtsblätter »Hohe Straßen, hohle Wege und frühe Kunststraßen des Rhein-Mein-Gebietes in historischen Karten« stellt der Autor Dr. Karsten Brunk die Detailkartierung der in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert benutzten Verkehrswege in der Wetterau, im östlichen Taunus, in Vogelsberg, Kinzigtal, Spessartvorland und Untermaingebiet auf der Grundlage historischer Karten, Altstraßenkartierungen und LIDAR dar. Der Band mit 365 Seiten, rund 100 Abbildungen und einer separaten Kartenbeilage mit vier Karten ist im Verlag der Buchhandlung Bindernagel erschienen (ISBN 978- 3-87076-130-1) und kostet im Buchhandel 45 Euro.

Günstiger ist es, Mitglied des Geschichtsvereins zu werden. Die rund 330 Mitglieder erhalten den Band kostenlos und werden gebeten, ihn in der Geschäftsstelle im Alten Rathaus (dienstags und donnerstags von 10 bis 11 Uhr) oder im Ticketshop (11 bis 18 Uhr) abzuholen. Der Band ist deutschlandweit in allen wichtigen wissenschaftlichen Bibliotheken vorrätig.

Von Jürgen Wagner.

Wetterauer Zeitung, 6. Juni 2024

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