Jüdische Betreffe Reichshofrat am Bsp. Friedberg

Reichsburg, Reichsstadt und Judengemeinde Friedberg vor dem Kaiserlichen Reichshofrat

Zum letzten Vortrag im ersten Halbjahr 2023 begrüßte der Friedberger Geschichtsverein als Referenten die Historiker Dr. Stephan Wendehorst (Universität Wien), Ulrich Hausmann und Kevin Hecken, die sich mit der wissenschaftlichen Auswertung der Akten des Reichshofrats (RHR) befassen. Die Referenten stellten dabei das vom Stadtarchiv Friedberg und vom Friedberger Geschichtsverein finanzierte Projekt „Jüdische Betreffe des Kaiserlichen Reichshofrats am Beispiel der Reichsstadt Friedberg“ vor. Der RHR, 1498 von Kaiser Maximilian gegründet, war im Dienste des Kaisers nicht nur Verwaltungs- und Beratungsgremium, sondern neben dem Reichskammergericht das höchste Gericht des Reiches und stand in Konkurrenz zu ihm. Während das Reichskammergericht in räumlicher Distanz zum Kaiser seinen Sitz in Frankfurt, Speyer und seit 1693 in Wetzlar hatte (Wetzlar war Friedberg vorgezogen worden), residierte der RHR bis zu seiner Auflösung 1806 in Wien. Er setzte sich aus einer Gelehrtenbank, d.h. Juristen, und einer Herrenbank, d.h. Mitgliedern des Adels, zusammen. Mit dem Vortrag erhielten die Zuhörer einen Einblick in die Tätigkeit dieses obersten Gerichts. Unter den schätzungsweise 80.000 bis 100.000 Verfahren können ca. 5000 identifiziert werden, in denen jüdische Einzelpersonen oder Gemeinden als Parteien auftraten oder zwischen anderen Parteien über deren Rechte und Pflichten gestritten wurde. Bemerkenswert ist, dass sich Reichsburg und Reichsstadt Friedberg auffällig oft an den RHR wandten. Die Referenten konnten die Burg 90 mal als klagende Partei und die Stadt 37 mal als Klägerin und 52 mal als Beklagte feststellen. 13 Verfahren betrafen Friedberger Juden. Über drei dieser Verfahren aus dem 18. Jahrhundert berichteten die Referenten ausführlicher. Im ersten Fall hatte die Friedberger jüdische Gemeinde Bürgermeister und Rat der Stadt verklagt, weil die Stadt nach Auffassung der Judengemeinde seit dem 30jährigen Krieg zu Unrecht Steuern von den Juden erhoben habe. Auch kaiserliche Reskripte, dies zu unterlassen, hätten die Stadt nicht abgehalten. Die Stadt habe vielmehr ihre Steuerforderung gewaltsam durchgesetzt und beispielsweise 1670 in der Judengase gepfändet. Die Juden verlangten daher die Rückerstattung der zu Unrecht gezahlten Steuern. Zugleich richtete sich die Klage gegen den Burggrafen, damit dieser seiner Pflicht zum Schutz der Judenschaft nachkomme. Eine Entscheidung des RHR in dieser Sache ist nicht überliefert. Ein weiteres Verfahren ergab sich aus dem Antrag auf ein kaiserliches Reskript (Anordnung) des kurpfälzischen Regierungsrates von Lemmer gegen den Frankfurter Juden Jacob Isaac Beer und den Friedberger Juden Michael Beer wegen Bezahlung zweier Wechsel. Der Antragsteller hatte für seine Forderung bereits ein Reskript des Kurfürsten von der Pfalz erwirkt, das aber nicht zur Begleichung der Schuld geführt hatte. Ein drittes Verfahren betraf eine Forderung des Juden Gompel Cassel aus Bonn wiederum gegen Michael Beer, damals Rabbiner der Friedberger Gemeinde. Da der Rabbiner nicht zahlte, erwirkte Gompel 1730 ein Urteil des Burggrafen über die Forderung. Dagegen appellierte der Rabbiner im selben Jahr an den RHR. Auch in dieser Sache ist kein Urteil des RHR überliefert. Die Referenten gaben schließlich einen Ausblick auf weitere Verfahren unter Beteiligung der Burg oder der Stadt. Eines betraf eine Klage der Burg gegen einen Burgmann, der seine Schafe auf einem Grundstück der Burg in der Karbener Mark weiden ließ. Einem weiteren Prozess lag zugrunde, dass der Posthalter der Friedberger Poststation 1716 am Gebäude (auf der Kaiserstraße) das hessische Wappen hatte anbringen lassen. Dagegen wandte sich der Fürst von Thurn- und Taxis als Inhaber des Postprivilegs mit einer Klage gegen die Stadt, die dagegen nicht eingeschritten war. Streitigkeiten unter den Burgmannen wegen der Wahl des Burggrafen ergaben sich daraus, dass die Burgmannen teils protestantisch, teils katholisch waren und die Wahl eines der eigenen Konfession angehörenden Kandidaten durchsetzen wollten. In der sich anschließenden Fragerunde ging es unter anderem darum, was die Kläger bewogen habe, sich gerade an den RHR und nicht an das Reichskammergericht zu wenden. Für eine abschließende Antwort bedarf es – wie bei anderen Fragen – zumindest der weiteren Auswertung der Akten. Reinhard Schartl

Wetterauer Zeitung 28. April 2023

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