Harder, Sakramentshaus

Bewundern und Begehren“

Friedberger Geschichtsverein beschließt das Jahr mit Vortrag zum Sakramentshaus der Stadtkirche und mit Mitgliederehrung

„Bewundern und Begehren“, unter diesem verheißungsvollen Motto stellte Celine Harder beim Friedberger Geschichtsverein die Ergebnisse ihrer Masterarbeit über das gotische Sakramentshaus im Chor der Friedberger Stadtkirche vor. Es ist eine der bedeutungs- und eindrucksvollsten „Kleinarchitekturen“, die unsere Region zu bieten hat.

Celine Harder. Foto privat

Celine Harder. Foto privat

Die Friedberger Pfarrrechnungen, die im Stadtarchiv verwahrt werden, belegen, dass das Sakramentshaus zwischen 1482 und 1484 entstand und dass der Auftrag an Hans von Düren in Gegenwart von Bürgermeister und Stadtschreiber erfolgte. Es wurde im Wesentlichen aus weichem Trarbacher Tuff gefertigt, der eine feinere Bearbeitung zuließ als der härtere Sandstein, der für die tragenden Teile des Kunstwerks Verwendung fand.

Frau Harder stellte die wenigen bislang bekannten Daten zu Leben und Werk des Bildhauers vor, der in Frankfurt und zeitweise wohl auch in Friedberg wohnte. Sie erläuterte zudem die Komposition und künstlerische Ausgestaltung des Sakramentshauses und seines Bildprogramms, von dem vermutlich nur die beiden Statuetten der Verkündigungsgruppe überhaupt ausgeführt wurden. Durch stilkritische Vergleiche mit anderen Sakramentshäusern und religiösen Kleinarchitekturen des zeitlichen und räumlichen Umfeldes gelang Frau Harder die schlüssige Zuordnung des Kunstwerkes in die Nähe des Marienbaldachins im Frankfurter Dom, als dessen Vorbild sie das Friedberger Sakramentshaus sieht.

Nahezu schwerelos und fein, in seiner himmelwärts strebenden Eleganz beinahe überwältigend und der Darstellung der von der Hostie verkörperten göttlichen Präsenz würdig, ist das Friedberger Sakramentshaus ein Vertreter seiner Art par excellence. Heute kommen wir als „normale Sterbliche“ ihm so nah, wie es zur Zeit seiner Entstehung nicht gedacht war, und können, wie Frau Harder eindrucksvoll hervorhob, das schlanke Bauwerk bei etwa 14 Metern Höhe doch nie mit einem Blick erfassen. Zur Entstehungszeit konnten die Gläubigen vom Kirchenschiff aus lediglich die Spitze erspähen und gelegentlich – nur wenn die Lettner-Pforten geöffnet waren – einen Blick auf das filigrane Meisterwerk erhaschen und auf die in ihm verborgene und gleichzeitig prunkvoll in einer Monstranz in Szene gesetzte Hostie, die als Verkörperung der Realpräsenz Christi gleichzeitig der visuellen Kommunion diente. Dieses Wechselspiel von „Bewundern und Begehren“ sollte das Auge fesseln und das Verlangen des Gläubigen nach dem Erfassen und Begreifen des Göttlichen wecken. Das Sakramentshaus fungierte quasi als „Schnittstelle“ zwischen dem gläubigen Volk und dem Objekt seiner religiösen Begierde und wurde so – zumindest für einige Jahrhunderte – Teil der religiösen Inszenierung und Liturgie.

Dieses Wissen um die religiöse und liturgische Bedeutung von Sakramentshäusern allgemein und insbesondere die ikonographischen Bezüge zur künstlerischen Ausstattung der Friedberger Stadtkirche tragen wesentlich zum Verständnis des Kunstwerks bei. Die Gattung „Sakramentshaus“ erfuhr gegen Ende des 15. Jahrhunderts und damit kurz vor der Reformation ihren Höhepunkt der künstlerischen Ausformung und fand kurz darauf mit dem Konzil von Trient (1545-1563) ihr recht plötzliches Ende. Nun wurden die Altäre als Orte der Aufbewahrung des Allerheiligsten im Tabernakel bestimmt. Die seitlich im Altarraum errichteten Sakramentshäuschen oder Sakramentsnischen wurden somit überflüssig.

 Die Jubilare des Friedberger Geschichtsvereins: Roswitha Bublitz umrahmt von (v.r.n.l.) Erich Hinkel, Dr. Reinhard Schartl, Walter Kostron und dem Vorsitzenden Lothar Kreuzer. Foto privat.

Die Jubilare des Friedberger Geschichtsvereins: Roswitha Bublitz umrahmt von (v.r.n.l.) Erich Hinkel, Dr. Reinhard Schartl, Walter Kostron und dem Vorsitzenden Lothar Kreuzer. Foto privat.

Das Friedberger Sakramentshaus diente somit nur kurz seiner Bestimmung. Nachdem 1552 die Reformation endgültig in der Stadt Einzug gehalten hatte, verlor es seine liturgische Funktion. Die Stadtkirche blieb jedoch glücklicherweise von einem Bildersturm, wie er andernorts wütete, verschont. Allerdings erlitt das empfindliche Kleinod in den folgenden Jahrhunderten unter der anhaltenden Vernachlässigung und dem zunehmenden Verfall des Gebäudes substanzielle Verluste. Mehr oder weniger geglückte Restaurierungen um 1900 und in den 1960er Jahren retteten es in unsere Zeit. Im Rahmen der vom Förderverein der Stadtkirche Friedberg unterstützten umfassenden Restaurierung von 2022 erfolgten die Kartierung des Bestandes und eine Sicherung, die die früheren Veränderungen und Ergänzungen sichtbar beließ. Deren Umfang und Zuverlässigkeit sind jedoch weiterhin nicht gänzlich geklärt, wie Frau Harder im Vergleich mit dem nahezu unbeschädigt erhaltenen Frankfurter Marienbaldachin aufzeigte.

Lang anhaltender Applaus und die anschließende Aussprache waren Ausdruck und Reflex dieses sehr aufschlussreichen Vortrags.

Die in deutscher und französischer Sprache verfasste Masterarbeit wurde 2022 an den Universitäten Dijon und Mainz vorgelegt. Der Förderverein Stadtkirche Friedberg unterstützte die Arbeit mit einem Stipendium.

Wenn Sie neugierig geworden sind: Die Masterarbeit zum Friedberger Sakramentshaus wird vom Friedberger Geschichtsverein in der Reihe der Wetterauer Geschichtsblätter veröffentlicht. Eine Besichtigung der Stadtkirche und einen Blick auf das Sakramentshaus ermöglicht die evangelische Kirchengemeinde dienstags bis freitags von 14 bis 16:30 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 16:30 Uhr.

Im Anschluss an den Vortrag nahm der Vorsitzende Lothar Kreuzer die Ehrung langjähriger Mitglieder vor. Dabei ging er auf das jeweilige Eintrittsjahr ein und schilderte kurz das damalige Vereinsgeschehen sowie markante historische Ereignisse in Deutschland und der Welt. Leider waren von den vierzehn Jubilaren einige verhindert, wie etwa Hermann Kosch und Hans Ulrich Valk (25 Jahre) sowie Hans-Helmut Hoos, der maßgebliche Erforscher der Geschichte der jüdischen Gemeinde Friedbergs (40 Jahre). Die Urkunden konnten überreicht werden für 40jährige Mitgliedschaft an Roswitha Bublitz, Erich Hinkel, Walter Kostron, den ehemaligen Leiter der Augustinerschule, sowie an das Vorstandsmitglied Dr. Reinhard Schartl. Vor 50 Jahren ist Erika Reichardt gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann dem Verein beigetreten. Katja Augustin

Vgl. Wetterauer Zeitung 4.1.2024

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