Dr. Nawrath, Geschichte des Kulturgraslandes in Friedberg
Markwiesen bei Ossenheim als einzigartige Pfeifengraswiese
Agrarhistorischer Vortrag von Dr. Stefan Nawrath beim Friedberger Geschichtsverein
Vor einem gut besuchten Haus sprach am vergangenen Dienstag der Biologe Dr. Stefan Nawrath beim Friedberger Geschichtsverein coronabedingt im vierten Anlauf über die Geschichte der Kulturgraslandschaft im Raum Friedberg. Einführend wies der Ossenheimer Naturwissenschaftler darauf hin, dass die Artenzusammensetzung der Wiesen und Weiden als naturnahe Kulturlandschaft seit dem Sesshaftwerden des Menschen vor etwa 7000 Jahren stets von ihm geprägt und verändert wurde. Dabei nutzten diese frühen Menschen in unserer Region die bodenkundlichen und geomorphologischen Standortgegebenheiten geschickt aus. Während der Lebensraum der Lößlandschaft Wetterau immer dem Ackerbau diente, waren die feuchten Flussauen und deren Seitenarme der Wiesen-und Weidenutzung vorbehalten. Somit gestaltete eine frühe Landbewirtschaftung im Nebenprodukt in dieser Graslandschaft einen Lebensraum, der in seiner Artenvielfalt mit dem des tropischen Regenwaldes gleich gestellt werden kann und somit je nach seiner Bodengenetik eine sehr hohe Bedeutung besitzt. Dr. Nawrath überraschte in seinem Vortrag auch mit dem Sachverhalt, dass die Großlandschaft Deutschland bereits vor dem Eiszeitalter nicht nur eine reine Waldlandschaft war, sondern als halboffene „Parklandschaft“ sehr strukturiert war, deren Pflanzenarten die 4 Eiszeiten überdauern konnten.
In römischer Zeit, mit der intensiven Nutzung der Sense, entstanden dann die Heuwiesen, wobei diese die reine Weidenutzung als Wirtschaftsform ablöste. Erst um 1950 kam es in Deutschland mit der Silage-Wirtschaft zu einer radikalen Änderung der Grünlandnutzung und damit zu einer Überdüngung, was letztendlich zur heutigen Artenarmut unserer Wiesen geführt hat. Der Bedarf an nährstoffreichem Futter für unsere Hochleistungsrinder in der Stallhaltung hat somit zu einer Veränderung der Agrarlandschaft geführt. In der Wetterau werden aber erfreulicherweise dank vieler Hobby-Pferde viele Wiesen noch als Heuwiesen bewirtschaftet. Der Referent ging bei seinem Vortrag auch intensiv auf die bedeutenden Lebensräume der Friedberger Auenlandschaft zwischen Fauerbach, Ossenheim und Dorheim ein, die als „Markwiesen“ und „Hechtgraben“ bekannt sind. Auf wenigen Parzellen sind noch artenreiche Blumenwiesen erhalten geblieben. Zahlreiche seltene Pflanzen wie „Färber Scharte“, „Nordisches Labkraut“, „Moorveilchen“ oder sogar der „ Teufelsabbiß“ haben dieses Feuchtgebiet als einem absolut schützenswertes Rückzugsgebiet für bedrohte Arte werden lassen. Leider ist die „Trollblume“ ist als eine besondere Rarität am „Hechtgraben“ ausgestorben und hat damit seinen letzter Standort innerhalb des hessischen Tieflandes verloren. Der Erhalt der letzten artenreichen Wiesen ist ein hohes Ziel zur Sicherung der genetischen Vielfalt. Ein Verlust wäre als irreversibel zu bezeichnen. Trotz aller Kritik an der Lebensraumzerstörung durch den Menschen, der z.B. durch den Straßenbau verursacht wird, kann durch eine sachgerechte Kompensation ein Ausgleich für den Verlust von artenreichen Blumenwiesen erfolgen. An der B 455-Umgehung bei Dorheim konnte durch Initiative der örtlichen Nabu-Gruppe ein artenreicher Grünlandstandort neu geschaffen werden, der zu einer regionalen Identität beitragen wird. Deutliche Kritik übte Dr. Nawrath aber auch gegenüber der Stadt Friedberg, die es am „Burgfeld“ nicht geschafft hat, ihrer Kompensationsverpflichtung fachlich sachgerecht nachzukommen und statt einer Blumenwiese eine Graswüste aus vorwiegend Quecke entwickelt hat. Die Fläche im „ Kühlen Grund“ sollte schnellstmöglich umgebrochen und neu angelegt werden. Die Zuhörer dankten dem Referenten mit lang anhaltenden Applaus für einen außerordentlich interessanten agrarhistorischen Vortrag. (Achim Meisinger)
Vgl. Wetterauer Zeitung 10.5.2022