Schneider Städtepartnerschaften
Zwischen Brexit und geeintem Europa
Stadtarchivleiter Lutz Schneider spricht über Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Friedbergs Städtepartnerschaften
Wie deutlich sich die große Weltpolitik manchmal im Regionalen widerspiegelt, konnten die interessierten Zuhörinnen und Zuhörer am 21. März im Friedberger Klosterbau erfahren. Stadtarchivleiter Lutz Schneider referierte über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft von Friedbergs Städtepartnerschaften. Unweigerlich kam dabei auch der „kleine Brexit“ zur Sprache, den die Wetterauer Kreisstadt bereits im Jahr 2011 erlebt hatte. Damals erklärte der Stadtrat des britischen Bishop’s Stortford die über 40 Jahre währende Städtepartnerschaft mit Friedberg und dem französischen Villiers-sur-Marne für „nicht mehr relevant“. Antieuropäische Stimmen waren laut geworden, die fünf Jahre später in ganz Großbritannien mehrheitsfähig werden sollten. Die Konsequenzen sind hinlänglich bekannt, der Ausgang – in dramatischer Weise – noch immer offen.
Dass es auch anders gehen kann, zeigt Friedbergs neue Partnerschaft mit dem portugiesischen Entroncamento. Erst seit dem vergangenen Jahr offiziell besiegelt war die Verschwisterung von einer großen Fotoausstellung im Burggarten der Kreisstadt begleitet worden. Die Vortragsreihe des Friedberger Geschichtsvereins bot Schneider nun die Möglichkeit, die vom Stadtarchiv konzipierte Fotoausstellung noch einmal zusammenhängend vorzustellen. Auch einen Ausblick auf ihren zweiten Teil, der in diesem Sommer im Burggarten zu sehen sein wird, konnte der Archivleiter geben.
In Anwesenheit zahlreicher Friedberger Bürgerinnen und Bürger, die sich in Politik und im Rahmen von Initiativen und Vereinen wie dem Europa-Club selbst um den europäischen Austausch verdient gemacht hatten, richtete Lutz Schneider den Blick zunächst auf ein heute fast vergessenes Kapitel der Stadtgeschichte. 1960 übernahm Friedberg die Städtepatenschaft für das nordböhmische Seestadtl. Im ehemaligen „Sudentenland“ gelegen war dieser Ort Heimat vieler nach dem Zweiten Weltkrieg in die Wetterau geflohener Deutscher. Diese gründeten in der Nachkriegszeit den Heimatbund Seestadtl und waren mit erinnerungspolitischen Initiativen in Friedberg aktiv. Noch heute sind auf dem Friedberger Hauptfriedhof einige Denkmäler aus dieser Zeit zu sehen. Ähnlich nachhaltig gestaltete sich die Patenschaft allerdings nicht. Die Stadt Seestadtl fiel bereits 1964 dem Tagebau zum Opfer, der Heimatbund löste sich im Jahr 2012 auf.
Im Juni 1965 – 20 Jahre nach Kriegsende – kam es schließlich zur feierlichen Verschwisterung der Städte Friedberg, Villiers-sur-Marne und Bishop’s Stortford mit dem Versprechen, „die Bande der Freundschaft unter den Städten und ihren Bürgern zu erhalten und zu festigen.“ Man formulierte zudem das aus heutiger Sicht erstaunlich radikale Ziel, „unter den Völkern aller Nationen eine volle Einigung zu schaffen“. Die von Lutz Schneider präsentierten Fotografien bezeugen die zahlreichen Verschwisterungsaktionen in allen drei Städten, die sich zunächst in den typischen Straßen-, Platz- und Brückenbenennungen oder Baumpflanzaktionen niederschlugen. Zu tragenden Säulen der Gemeinschaft sollten dann allerdings, wie der Stadtarchivleiter betonte, vor allem der bis heute gepflegte Schüleraustausch, die Familien- und Sportlertreffen, die Treffen zwischen den einzelnen Vereinen sowie die regelmäßigen Arbeitstagungen der Arbeitskreise werden.
Auch die im Jahr 1990 geschlossenen Partnerschaften mit den norditalienischen Gemeinden Magreglio und Barni wusste Lutz Schneider ausführlich zu würdigen. Diese Verbindung sei untrennbar mit dem Namen Albert H. Rausch verbunden, der als Dichter Henry Benrath seine letzten Lebensjahre in den kleinen Gemeinden am Comer See verbracht hatte. Benraths Intervention hatte Magreglio, Barni und ihre Nachbargemeinden im September 1944 vor der Zerstörung durch eine Racheaktion der Deutschen Wehrmacht bewahrt. In seinem Andenken wurden bis 2009 auch mit den Nachbargemeinden Civenna und Oliveto Lario Freundschaftsverträge geschlossen.
Mit einem Ausblick auf die gemeinsamen Projekte der Stadt Friedberg mit ihrer neuen Partnerin Entroncamento lies Schneider seinen facettenreichen Vortrag enden, der neugierig auf die kommende Ausstellung machte. In der anschließenden Diskussion meldeten sich ehemalige Akteure der Verschwisterungspolitik wie Friedbergs Altbürgermeister Michael Keller zu Wort. Dieser verwies auf Schwierigkeiten, die ihm in seiner aktiven Zeit im Umgang mit den Partnergemeinden begegnet seien. Nicht nur im Erstarken europafeindlicher Kräfte in Großbritannien und Italien, auch in den sehr unterschiedlichen kommunalpolitischen Strukturen sieht Keller für die zukünftige Zusammenarbeit bleibende Herausforderungen.
In einem schienen sich die Anwesenden einig zu sein: Der Traum vom geeinten Europa braucht aktive Europäerinnen und Europäer mehr denn je – gerade im kommunalen Bereich. Mit der neuen Partnerschaft mit Entroncamento ist Friedberg auf einem guten Weg. Und wenn Friedberg damit noch einmal Vorreiter für die ganze EU wäre? Für Europa wäre es nicht das Schlechteste.
Malte Dücker