Dr. Becke, Um 1500 – Luthers Welt
Martin Luther als Grenzgänger zwischen Mittelalter und Neuzeit
Vortrag von Pfarrer Dr. Becke beim Friedberger Geschichtsverein über Luthers Welt um 1500
Vor einem voll besetzten Haus sprach am vergangenen Donnerstag der Bad Nauheimer Pfarrer Dr. Ulrich Becke über Luthers Welt um das Jahr 1500. Dabei thematisierte der Theologe keineswegs markante Ereignisse dieser Epoche, sondern beschrieb interessante Lebensgeschichten von Menschen, die direkt oder indirekt mit dem Leben des Reformators in Verbindung standen. Sehr lebendig und bildhaft schilderte Dr. Becke die Lebensbedingungen zur Zeit Luthers als sehr grausam und äußerst schwierig, obwohl das 16. Jahrhundert bereits von einer großen Aufbruchsstimmung geprägt war. Die von Italien aus sich in alle Teile Europas entwickelnde Bewegung des Humanismus mit seiner lebens- und schöpfungsbejahenden Einstellung konnte es nicht verhindern, dass die unmenschlichen Hexenverfolgungen weiterhin flächendeckend in Deutschland um sich griffen. Auch das schwere Los der Leibeigenschaft der Bauern sowie die ersten Pogrome an den Juden waren im Alltagsleben der damaligen Zeit gegenwärtig. So wurden im Oktober 1492, wenige Tage nach der Entdeckung Amerikas in Mecklenburg 27 Juden auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Sie sollen einen Hostienfrevel begangen haben. Die Geständnisse wurden unter der Folter erpresst.
Eine sehr prominente Persönlichkeit lernte Luther auf seiner Rückreise von Rom in Augsburg kennen. Es handelt sich um Anna Laminit, die ihre Bekanntheit durch ein Leben ohne Nahrungsaufnahme und ohne Exkrementausscheidung erlangte. Laminit stieg dadurch zu einer Art „Modeheiligen“ schon zu Lebzeiten auf. 1503 flog der Schwindel auf, als Herzogin Kunigunde von Österreich St. Anna beim nächtlichen Verzehr von Pfefferkuchen und Birnen erwischte. Anna verstrickte sich danach in eine Affäre mit einem reichen Augsburger Kaufmann, aus der ein Sohn entstammte, der bereits früh verstarb. Ein sich hieraus entwickelnder Alimentenbetrug am Vater dieses Sohnes und aufgrund eines Sohnes aus einer anderen Beziehung führte schließlich zur Verurteilung und Hinrichtung Annas. Das Gericht weist den Scharfrichter an, Anna in einen Sack zu stecken und sie so lange unter Wasser zu tauchen, „bis die Seele aus ihrem Körper entweiche“. Das sogenannte „Säcken“ war eine der grausamsten Formen der Hinrichtung.
Als Freund und Befürworter des Reformators wird auch Albrecht Dürer von Dr. Becke charakterisiert, wobei erwähnenswert ist, dass dieser 1522 in Brüssel eine erste Ausstellung aztekischer Gold-schmiedearbeiten in seinem Tagebuch sehr genau beschrieb. Darin erwähnte Dürer auch, dass er den „Sturm konterfet“ habe, der bei den Krönungsfeierlichkeiten Karls V im Jahre 1519 in Aachen als Reichsherold Kaspar Sturm in buntem Gewand und seinem Zeremonienschwert anwesend war. Möglicherweise könnte e sich dabei bereits um das berühmte angebliche Friedberger Lutherschwert handeln.
Zum Schluss des Vortrages widmete sich Dr. Becke der Fragestellung, inwieweit Luthers Welt für unser heutiges Zeitalter von Bedeutung sein kann. Er stellt die Frage, ob Luther bereits mit seinen Theorien ein „Kind der Neuzeit“ sei, oder ob er sich wegen seines Teufelsglaubens noch tief im Mittelalter befände. Letztendlich muss man Luther als Grenzgänger seiner Zeit bezeichnen, da er es verstand, die damals neuen Medien, wie Flugblätter oder Plakate geschickt für seine Sache einzusetzen. Luther war keineswegs der Wegbereiter von Toleranz und Vernunft , sondern er bezeichnete diese stets als „Teufelshuren“. Interessant ist, dass Luther oft im Dialog eine Offenheit zeigte, sich jedoch dann in härtestem Fanatismus zurückzog. Dieses Verhalten offenbart sich auch im Umgang mit den jüdischen Theologen, die er zu missionieren versuchte. Als dieser Ansatz erfolglos verläuft, wendet er sich ab und sein Verhalten schlägt in antisemitischen Hass um, indem er zur Errichtung von Zwangsarbeitslagern für Juden aufrief.
Luthers wesentliche Botschaft für die heutige Zeit ist, den von ihm angestrebten Brückenschlag des Dialoges der Religionen untereinander zu leben. Er war immer bemüht, sich auf dem Ursprungsglauben der frühen Kirche zu besinnen. Für das Lutherjahr 2017 bedeutet dies, dass auch unsere Gesellschaft sich heute im Sinne der Haltung des Reformators auf „ihre eigenen Wurzeln“ ausrichten sollte. Die Besucher dankten dem Referenten mit lang anhaltendem Applaus.
(Achim Meisinger)
Vgl. Wetterauer Zeitung 26.4.2017