Dr. Wolf, Friedberg im Spätmittelalter
Für die dritte Veranstaltung seiner Vortragsreihe zur Friedberger Stadtgeschichte im Jubiläumsjahr konnte der Friedberger Geschichtsverein zum Thema „Friedberg. Burg und Stadt im Spätmittelalter“ als Referenten den Leiter des Museums und des Stadtarchivs Butzbach, Dr. Dieter Wolf, gewinnen. Dass es, wie es der Vorsitzende des Geschichtsvereins, Lothar Kreuzer, in seiner Begrüßung der zahlreichen Zuhörer formulierte, im Vortragssaal des Bibliothekszentrums „noch nie so voll war“, ist ohne Zweifel der zentralen Bedeutung des Themas für die Friedberger Geschichte, ebenso aber der Person des Referenten zuzuschreiben, der einer der besten Kenner des Gegenstands ist. Dr. Wolf präsentierte nicht nur die bekannten wichtigsten Daten, wie die erste Erwähnung der Reichsburg in einer Königsurkunde Friedrichs II. aus dem Jahr 1216, die weitgehende Zerstörung der Burg durch die städtischen Bürger 1275, den von König Albrecht 1306 erlassenen Schiedsspruch, nach dem die Bürger nicht nur den Wiederaufbau der Burg finanzieren, sondern von da an sechs Mitglieder der Burgmannschaft in ihren Rat wählen mussten, oder die Verpfändung der städtischen Reichssteuern 1349 durch Kaiser Karl IV. zur Erfüllung von Wahlversprechen. Vielmehr nahm der Referent auch die Gelegenheit wahr, bisher herrschende Auffassungen kritisch zu beleuchten. So äußerte er erhebliche Zweifel, ob die Neugründung von Burg und Stadt in der Stauferzeit mit dem Aussterben der Grafen von Nürings zu erklären und bereits auf ca. 1170 zu datieren ist. Da nach einer bislang nicht in Betracht gezogenen Urkunde noch 1195 ein Graf von Nürings genannt wird, favorisierte Dr. Wolf nicht eine Gründung durch Friedrich Barbarossa, sondern eher durch seine Söhne, wie Philipp von Schwaben, möglicherweise auch durch den Reichsministerialen Kuno von Münzenberg und vermutete sie damit später, erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Südlich vor der Burg, in der zunächst etwa 30 Burgmannen mit dem Burggrafen an der Spitze zur Erfüllung ihrer militärischen Aufgaben einer strengen Residenzpflicht unterlagen, entwickelte sich zunächst ein städtischer Bereich mit Bauhandwerkern, aber auch mit den später unter königlichem Schutz stehenden Juden, denen Isaak von Koblenz das rituelle Judenbad (vielleicht ab 1260) bauen ließ. Typisch für die Stadtbegründungen der Staufer war die breite Marktstraße (heute Kaiserstraße). Nachgewiesen ist als Vorgängerin der ab der Mitte des 13. Jahrhunderts errichteten Liebfrauenkirche eine ältere romanische dreischiffige Basilika, noch erhalten ist das ganz im Süden des mittelalterlichen Stadtgebiets errichtete romanische Gebäude, das nach Dr. Wolf vielleicht sogar der Verteidigung der Stadt dienen sollte und erst 1461 vom Deutschen Orten erworben wurde. Zur weiteren Entwicklung der Burg erwähnte der Referent , dass die Burgmannen das Recht erwirkten, den Burggrafen aus ihren eigenen Reihen zu wählen, sowie die Entstehung von Bauwerken wie die Errichtung des nördlichen, mit sechs Toren gesicherten Burgausgangs, oder den Mitte des 14. Jahrhunderts durch ein Lösegeld des von der Burg gefangengenommenen Grafen Adolf von Nassau finanzierten Bau des Adolfsturms, der diesen Namen erst im 19. Jahrhundert erhielt. Eingehend beschrieb er auch die dem Schutzpatron der Burg, St. Georg, gewidmete gotische Burgkirche, den nach 1770 eingestürzten südlichen Bergfried und die imposante Zugbrücke am südlichen Burgtor, die erst im 18. Jahrhundert durch die heutige Brücke ersetzt wurde. Die Entwicklung der Stadt wurde vor allen Dingen durch die seit dem späten 13. Jahrhundert immer bedeutender werdende Tuchproduktion geprägt. Dr. Wolf schilderte hier die Ausbreitung des Friedberger Tuchs in weiten Teilen Europas sowie die Friedberger Messen, die einzigen im Umfeld der noch bedeutenderen Frankfurter Messen. Zwar hatte dieser Wirtschaftszweig im 15. Jahrhundert, ausgelöst unter anderem durch den ersten Großbrand 1383 und die Verpfändung, nur noch regionale Bedeutung, was auch zur stärkeren Auswanderung aus der Stadt und zum Absinken der Bevölkerungszahl von vorher wohl 3.000 auf allenfalls 1.500 Einwohner am Ende des Mittelalters führte. Dr. Wolf widersprach jedoch der gängigen Auffassung, dass die Stadt im 15. Jahrhundert zu einer reinen Ackerbürgerstadt abgesunken sei, da sich dies aus den Quellen so nicht ersehen lasse. Trotz eines zweiten Großbrandes 1447 sowie der ständigen Finanzprobleme findet er immer noch ein im Vergleich zu anderen Städten prosperierendes Gemeinwesen, wie es das Vorhandensein von Spezialhandwerkern mit ihren bis in den Privatbereich ihrer Mitglieder wirkenden Zünften, eine Wechselstube und die zahlreichen wirtschaftlichen Aktivitäten der etwa 20 klösterlichen Einrichtungen nahelegen. Die Größe der Stadt lässt sich daran ersehen, dass sie ohne Vorstädte und Burg einen Mauerumfang von 1.945 m hatte, mit den Vorstädten und der Burg von 4376 m. Die Maueranlage mit Türmen, von denen nur noch der so genannte Rote Turm erhalten ist, sowie mehreren aufwändigen Toren und kleineren Durchlässen forderte der Stadt einen erheblichen Unterhaltungsaufwand ab. Den fast zweistündigen eindrucksvollen, mit zahlreichen Abbildungen und historischen Karten illustrierten Vortrag honorierten die Zuhörer mit lang anhaltendem Applaus.
Reinhard Schartl
Vgl. Wetterauer Zeitung 23.3.2016