Dr. Sonja Wegner: Jüdisches Exil in Uruguay
Mit dem Thema „Die Flucht deutscher Juden nach Uruguay 1933- 1945“ widmete sich Dr. Sonja Wegner in ihrem Vortrag beim Friedberger Geschichtsverein einem bisher weniger beachteten Gebiet der Forschung zur Emigration der Juden im Dritten Reich. Auch anhand von Beispielen aus der Wetterau zeigte sie die Bemühungen, in dem fernen und fremden Land, vornehmlich in der europäisch wirkenden Hauptstadt Montevideo, Zuflucht zu finden und eine neue Existenz aufzubauen. Seit 1993 konnte Dr. Wegner vor Ort in Interviews mit fünfzig Zeitzeugen und durch intensive Archivarbeit die Zahl von etwa 10000 deutschsprachigen Flüchtlingen, meist Juden, ermitteln, die zumindest als erste Station Uruguay ansteuerten. Hilfreich hierfür waren ihr auch hessische Akten zur Wiedergutmachung.
Anhand von Familiendokumenten konnte man das Thema und die Facetten des existentiellen Neubeginns am Detail nachvollziehen. Uruguay wurde wegen liberaler Einreisebestimmungen, eines nicht existenten Meldesystems, eines Regierungswechsels 1938 und wegen seiner säkularen Ausrichtung bis in die ersten Kriegsjahre hinein bei zunehmend erschwerten Fluchtmöglichkeiten ein begehrtes Exil. Das kleine Land nahm proportional mehr Flüchtlinge auf als die Nachbarstaaten.
Der Neubeginn erfolgte meist in kaufmännischen oder handwerklichen Berufen. Von Glück konnte man sprechen, wenn es gelang, Umzugsgut wie die Grundausstattung einer Wäscherei nach Südamerika liefern zu lassen. Während sich vor allem die jüngere Generation oft schon früh zur Emigration entschloss und mit den bürokratischen Hürden kämpfte, bis die erwünschten Papiere ausgehändigt wurden, warteten andere –teilweise zu lange – ab; ungeheure Heimatliebe war ein Motiv, auch Repressalien im Vorfeld des Erlasses der Nürnberger Gesetze 1935 änderten daran wie im Falle des Hutgeschäfts Hirschsprung in Hanau nichts.
Ins Land kam man leicht mit einer Passage 1. Klasse, für die fast ein normaler Jahresverdienst zu bezahlen war. Man musste erst halb Europa durchqueren, um z.B. in Lissabon ein Schiff besteigen zu können. Da das Deutsche Reich an den Geldern und dem Eigentum der Juden interessiert war, organisierte es in verplombten Waggons zentrale Ausreisen von Berlin aus.
Da man in Uruguay über die Verhältnisse in Deutschland gut informiert war, versuchten viele, Angehörige nachzuholen. Tragisch war es, wenn ein Brief vom März 1942 die zurückgebliebenen Angehörigen in Obererlenbach vor deren Abtransport in die Vernichtungslager nicht mehr erreichte. Große Unterstützung leistete der Hilfsverband der Juden in Deutschland, wenn z.B. Landungs- und Vorzeigegeld als Einreisebedingung zu zahlen waren. Dieses Geld diente dann, in jährlichen Raten zurückgezahlt, zur Sicherung des Lebensunterhalts. Wer im Besitz eines Reisepasses war oder, wie in Hamburg, einen korrupten Konsul bestechen konnte, hatte es leichter.
Anhand der professionellen Fotographien einer ehemaligen Frankfurterin illustrierte Dr. Wegner das Milieu der Emigranten. Die 1936 gegründete neue jüdische Gemeinde war sehr aktiv, startete Hilfsprojekte und gab ein Gemeindeblatt heraus. Im privatrechtlich organisierten Radio konnte man Zeit für landessprachliche Sendungen mieten, es entwickelte sich ein reges Musik- und Theaterleben.
Die Integration insgesamt gelang unterschiedlich, sie war nach dem Krieg auch durch die politischen Verhältnisse in Uruguay erschwert. Der Einfluss der jüdischen Emigranten zeigte sich, als sie die Einreise des von seiner Mitarbeit an den Nürnberger Gesetzen belasteten Staatssekretärs Globke als Vertreter der Bundesrepublik zur Feier eines ersten Direktflugs Frankfurt – Montevideo verhindern konnten.
Lothar Kreuzer