Presse 2013 Kassel

1100 Jahre Ersterwähnung der Stadt Kassel und 200 Jahre Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm führten den Friedberger Geschichtsverein gemeinsam mit dem Literaturprojekt der Ev. Kirchengemeinde unter Leitung von Margarete und Hans Wolf nach Kassel in die Hessische Landesausstellung „Expedition Grimm“ und das Brüder Grimm- Museum, in das frisch gekürte UNESCO- Weltkulturerbe Bergpark Wilhelmshöhe sowie zu markanten Punkten der Stadtgeschichte.

Frau Wolf informierte, ergänzt von Originalzitaten, über die Familie Grimm,  u.a. über die Kindheit in Hanau, das Studium in Marburg mit seinen „häßlichen Treppen“ und der intensiven Lektüre mittelhochdeutscher Literatur im Kreise der Romantiker, den „parfümierten Absolutismus“ der Kasseler Kurfürsten, die Lebensaufgabe des Deutschen Wörterbuchs ( die Grimms kamen bis zum Artikel „Frucht“, beendet wurde das Werk erst 1960) oder die verschiedenen Märchenzuträger v.a. aus dem hugenottischen Milieu und dem Familienkreis. Nicht so geläufig ist, dass  Jacob  vom Kasseler Hof als Diplomat nach Paris und zum Wiener Kongress gesandt wurde. Als Mitglied der von den Studenten gefeierten Göttinger Sieben wird er politisch bedeutend. Nach der Verjagung aus Göttingen wird die Familie  durch die Kasseler Bevölkerung mit Nahrungs- und Geldspenden unterstützt.

Wesentliche historische Entwicklungen Kassels stellte Herr Wolf vor. Seit der Trennung der Landgrafschaft Hessen- Thüringen im 13. Jh. war es bis zur Übernahme durch Preußen 1866 Residenzstadt. Philipp als Anführer der Protestanten ermöglichte in seiner Doppelrolle als weltliches und geistiges Oberhaupt materiellen Zugewinn, der der Universität, Hospitälern und der geordneten Kindererziehung zugutekam. Moritz der Gelehrte führte Hessen- Kassel in die calvinistisch- reformierte Glaubensrichtung. In die 60 Regierungsjahre von Karl, dessen Werk dann Friedrich fortführte,  fiel die Aufnahme der Hugenotten, die Anlage des Bergparks und der Karlsaue als Ausdruck absolutistischer und barocker Pracht. Kurfürst  Wilhelm vermietete erfolgreich hessische Regimenter und steckte den Erlös in Schloss Wilhelmshöhe, schädigte aber seinen Ruf durch das Halten von Mätressen.

Die „Expedition Grimm“ zeigt in einer ersten Abteilung 140 Originale zum Leben und Wirken der Familie Grimm, u.a. von der schlimmen Schulzeit in Steinau, der fortschrittlichen Lateinschule in Kassel und  den säuberlichen Handschriften und zahlreichen Randbemerkungen in den gedruckten Ausgaben.  Im zweiten Teil sucht man verschiedene Mitmach- Stationen auf.  Ein begehbares 3D- Modell zeigt die besondere Situation des gemeinsamen Haushalts, zuerst von Schwester Lotte und dann von Wilhelms Frau „Dortchen“ geführt. Jacob galt den Kindern als A- Papa. Durch die Professur in Göttingen verlagerte sich der Arbeitsschwerpunkt zu Sprachwissenschaft und Literatur. Die Deutsche Grammatik allein umfasst 4000 Seiten mit englischen und niederländischen Parallelen. Hier zeigt eine Station einzelne Regeln der  Lautverschiebung. Intention der Werke allgemein war, das Deutsche mit seinem Charakter von den Nachbarnationen abzuheben. Bei den Märchenexemplaren zeigen Streichungen und Randnotizen, wie Jacob zum Missfallen seines Bruders  die ihnen vorgetragenen Versionen durch Standardformulierungen vereinheitlichte. Eine illustrierte englische Raubkopie dokumentiert den ersten Verkaufsschlager. Später beauftragte man den Malerbruder Ludwig Emil mit Illustrationen. Das Museum im Palais Bellevue zeigt neben Handexemplaren Erinnerungsstücke und Mobiliar aus Familienbesitz, besonders Werke von Ludwig Emil, und Wechselausstellungen, derzeit „Ideologie und Phantasie“ zur Geschichte der Märchen in der DDR. Herausragend dabei Scherenschnitte von Luise Neupert.

Mit Tausenden anderer Besucher pilgerte man durch das Weltkulturerbe, vom Herkules weit oben bis zur Endfontäne vor Schloss Wilhelmshöhe. Gespeist von Quellen des Habichtswalds sprießen die von Barockfürst Karl  nur mit natürlichem Antrieb angelegten Wasserspiele. Über die Allee führte die Stadtrundfahrt dann am Wohnsitz der Familie Grimm im Torhaus vorbei in die Wohnquartiere Altstadt, Freiheit und Oberneustadt, zum Ständehaus und Deutschlands erster Fußgängerzone und abschließend in den Vorort Nieder- Zwehren  zum Wohnhaus der wichtigsten Märchenzuträgerin Dorothea Viehmann, die in ihrer Kindheit als Schankwirtstochter der „Knallhütte“ erste Märchenkenntnis erlangte. Mit dem Vortrag des kürzesten Märchens „Der goldene Schlüssel“ endete ein eindrucksvoller Tag in Nordhessen.

Lothar Kreuzer

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