Dr. Rainer Zuch: Dimension lässt an eine Fliehburg denken
Wetterauer Zeitung, 22.03.2011
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Dr. Rainer Zuch referiert vor Friedberger Geschichtsverein über die Burg im Wandel der Zeiten – Fortsetzung geplant
von Hans Wolf
(hw) Zu einem Vortrag zur Baugeschichte der Friedberger Burg hatte der Geschichtsverein eingeladen und das Bibliothekszentrum war zum Bersten voll. Dr. Rainer Zuch, der im Frühsommer einen neuen Führer durch die Burg veröffentlichen wird, hatte interessante Thesen und anschauliches Bildmaterial vorbereitet, aber leider spielte die Technik bei der geplanten Powerpointpräsentation nicht mit, so dass aus dem Vortrag ein mühsames Suchen nach Bilddateien wurde und die Ausführungen deshalb sehr an Wirkung verloren. Schade, denn der Redner ist anerkannter Burgenforscher und hat sich intensiv mit der Friedberger Burg auseinandergesetzt. Er bescheinigt ihr zwei Besonderheiten, die sie von allen anderen Burgen in Deutschland unterscheiden, ihre Größe und die Tatsache, dass sie seit ihrer Gründung in der Stauferzeit bis heute als kaiserliche Burg, als Adelsrepublik, als Sommerresidenz und als Friedberger Stadtteil ständig bewohnt ist und demzufolge auch in allen Epochen bauliche Veränderungen erfahren hat. Wegen der technisch bedingten Verzögerungen musste sich der Redner auf zwei Epochen beschränken, auf die staufische Gründungsphase und die spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Bebauung.
Erstaunlich ist, dass die staufische Burg aus der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts eine Dimension hatte, die sich an das römische Kastell, das von 80 – 260 bestand, anlehnt, die aber in der Fläche unmöglich bebaut sein konnte. Zuch vermutet daher den Charakter einer Fliehburg, die der Bevölkerung Rückzugsmöglichkeiten in Krisenzeiten bot. Nach der Zerstörung durch die Stadt 1275 muss die Burg völlig neu konzipiert worden sein, denn es gibt aus der Stauferzeit keinerlei Baurelikte mehr, nicht einmal die typischen staufischen Buckelquader in Zweitverwendung. Im Spätmittelalter ging es mit der Burg unter kaiserlichem Schutz ständig bergauf. Sie brachte es sogar im Freigericht Kaichen zu einem eigenen Territorium, während es mit der Stadt ökonomisch und politisch ständig bergab ging. Durch die Anwesenheit der Burgmannen im Stadtrat war die Stadt hinter der Burg deutlich zurückgestuft worden. Dieses Erstarken der Burg in Friedberg ist untypisch, denn Burgen verlieren seit dem Spätmittelalter generell an Bedeutung.
Durch die genaue Interpretation der Burgansichten von Döring von 1553 konnte der Redner die beiden Mauerringe der Burgbefestigung, die eigentliche Burgmauer um die Kernburg und die Zwingerumwehrung, vorstellen und die einzelnen Schießscharten und Schalentürme in der heutigen Zwingermauer zeigen. Längs geschlitzte Scharten dienten Bogenschützen, während die Scharten in den Bollwerken an der Südwestecke, dem Dicken Turm, Büchsen vorbehalten waren, die von zwei Mann bedient werden mussten. Im Inneren des Dicken Turms waren Geschütze nicht zu verwenden. Ausführlich beschäftigte sich der Referent mit der Nordbefestigung, den 6 Toren bis hinunter zur Usa, von denen es noch drei gibt, und dem Adolfsturm, dem Bergfried, der außerhalb der inneren Burgmauer steht und diesen Zugang zu bewehren hatte. Er ist ein typischer Butterfassturm. Im oberen Turmaufsatz machte Zuch noch Holzreste aus, die er als Gerüsthölzer deutete. Vielleicht ließe sich über sie eine genauere Datierung erschließen, denn über die Fehde, bei der Graf Adolf von Nassau angeblich als Gefangener der Burg für Lösegeld sorgen musste, um diesen Turm zu bauen, schweigen sich die zeitgenössischen Quellen aus. Auch im Süden hatte die Burg einen Bergfried, der unmittelbar neben dem Saal, dem staufischen Pallas, stand, heute Burggymnasium. An der Straßenfront dieses Saales ist noch die vermauerte Öffnung zu erkennen, die in die Kapelle im Obergeschoss dieses Bergfriedes führte. Auch die Toranlage an der Südseite der Burg konnte Zuch anhand der Döringbilder interpretieren. Dem heutigen Tor war auf der Stadtseite des Burggrabens noch ein Tor vorgelagert, das im Dreißigjährigen Krieg verschwand. Das heutige Burgtor hat innen eine Fachwerkkonstruktion und ist aus Kostengründen nur nach außen wehrhaft gemauert.
Die ältesten Häuser in der Burg sind der sog. Lange Bau der Riedesel zu Bellersheim mit dem Eselswappen über der Tür, das ehemalige Zeughaus, später das Wohnhaus des Dichters Fritz Usinger, und die drei Fachwerkhäuser, die im Bereich des Burggymnasiums um einen kleinen Hof gruppiert sind. Sie stammen alle aus dem 16. Jh. Die Fortsetzung des sehr interessanten und aufschlussreichen Vortrages ist für die Zukunft geplant, wenn die Technik eine bessere Präsentation erlaubt. Die Zuhörer zollten dem Redner trotz der widrigen Umstände dankbaren Beifall.