Bechstein und Wolf: Überall eine Besonderheit entdeckt
Wetterauer Zeitung, 02.09.2011
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Föderkreis Burgkirche und Geschichtsverein in sieben Kirchen zu Besuch
von Lothar Kreuzer
Der Förderkreis Burgkirche und der Friedberger Geschichtsverein besuchten im Rahmen der Veranstaltungsreihe der KulturRegion Frankfurt- RheinMain „Orte für Herrschaft und Glaube“ 7 evangelische Kirchen im Bezirk des Freigerichts Kaichen, der seit 1293 bestehenden reichsunmittelbaren Grafschaft, deren Führung und Verwaltung später die Burg Friedberg übernahm. In den Orten im Südosten der Wetterau entstanden in der ersten Hälfte des 18. Jh. unter dem Regiment verschiedener Friedberger Burggrafen Neubauten im Barockstil. Baumängeln als Folge des 30jährigen Krieges konnte aus finanziellen Gründen oft erst Jahrzehnte später abgeholfen werden.
Federführend Harald Bechstein und Hans Wolf informierten zu den Burggrafen als Bauherrn und zu den Kirchenräumen, die weitgehend nach typischem Muster gestaltet wurden: eine längs ausgerichtete Saalkirche mit polygonalem Altarraum, eine meist dreiseitige Empore für die Männer, um der Kanzel nahe zu sitzen (die Frauenstühle unten wurden verkauft oder verpachtet), versehen mit einem Bildprogramm nach üblichem Muster, das auch zur Verkündigung und Belehrung der leseunkundigen Bevölkerung diente, einem Dachreiter oder Turm, bekrönt von der im evangelischen Raum eher untypischen Kombination von Kreuz und Hahn. Hinter den Emporen verzichtete man wegen der Außenwirkung nicht auf Fenster.
Das Zusammenspiel von Kirche und Politik manifestierte sich in der zentralen Präsentation der Regimentswappen, oft aus älteren Bauten übernommen, ebenso in der nach Rang und Ansehen gestaffelten Sitzordnung oder dem eigenen Gestühl für die Herrschaften, die Pfarrersfamilie oder den Kirchenvorstand. Um die Baukosten aufzubringen, die die Burg Friedberg allein nicht aufbringen konnte und wollte, suchten Gemeinden und Pfarrer Sponsoren weit über das eigene Territorium hinaus.
Die Burggrafen, unter ihnen später auch Katholiken, wurden mit ihren Portraits aus dem Wetterau- Museum eingeführt, es wurde beschrieben, wie sie regiert und wo sie in der Burg Spuren hinterlassen haben, sowie die 1704 erlassene Kirchenordnung der Burg und die gemäß des Augsburgischen Bekenntnisses schlichte Liturgie mit der Predigt als zentralem Element vorgestellt.
Jede der 7 Kirchen konnte mit Besonderem aufwarten: Okarben (1708-10)mit dem eingezogenen, älteren Chor mit Freskenresten, symmetrisch gestaltet mit hufeisenförmiger Empore, mit einem Christuskopf aus dem 11. Jh.; Büdesheim mit einer ersten Orgel von 1702, einem romanischen Taufstein, gotischem Kruzifix und Spitzbögen in den Chorfenstern und den Grabsteinen der Patronatsfamilie Schütz von Holzhausen; Kaichen(1737/38) mit dem weiten, künstlerisch aufwendig gestalteten Raum ohne das Dach stützende Säulen, dem Burgwappen an der Decke, dem Auge Gottes an der Kanzelrückwand, dem mehrgeschossigen Turm und dem einfachen, außen angebrachten Stein (BF- Burg Friedberg); Höchst a.d. Nidder (1743/44), das nicht zum Freigericht gehörte und ab 1756 unter dem Patronat der Schlossherren v. Günderode stand, also Residenzkirche war, mit kleinem Altarbereich und der Orgel nicht oberhalb des Altars; das Kirchlein von Rommelhausen (1726), ein klares Rechteck, mit prächtigen Farben, einem gedrehten Kanzelfuß und gekrönt vom Pelikan, dessen christliche Symbolik nicht leicht verständlich ist; Altenstadt (1718-20), wo sich trotz des Patronats des Klosters Engelthal die Reformation durchsetzte, im Mittelalter mit gotischem Wehrturm erbaut, mit der nach einer barocken Bilderbibel erstellten Bemalung der Empore und einem Altarbild, auf dem ein Putto Blut aus der Seite des Gekreuzigten zapft; Rodenbach (1751-56), erstmals mit Fenstern im Westen, der Kanzel mitten im Kirchenschiff, mit einem vorgebauten Glockenturm und der ältesten bespielbaren Orgel Hessens von 1621, die ursprünglich in Nidda stand. Nach dem letzten Abstecher in Nieder- Florstadt, wo die ab 1790 gebaute Kirche der Regimentsfamilie Löw mit ihren größeren Dimensionen und ihrer architektonisch differenzierten Außenfassade zum Vergleich diente, dankten die Teilnehmer Harald Bechstein und spendeten bereitwillig als Dankeschön für die gelungene Fahrt einen Teil der Fahrtkosten, 500 €, dem Förderkreis für die Renovierung der Burgkirche.