Hans Wolf: Von Krönung bis Revolution
Wetterauer Zeitung, 17.01. 2009
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Geschichtsverein besucht Russland-Ausstellung
von Hans Wolf
(hw) Mit einem voll besetzten Bus fuhr der Friedberger Geschichtsverein nach Darmstadt und besuchte auf der Mathildenhöhe die Ausstellung „Russland 1900, Kunst und Kultur im Reich des letzten Zaren“. Den Satz aus dem Ausstellungskatalog „Wenn Stadtgeschichte zu Weltgeschichte wird“ nutzte Hans Wolf für seine einleitenden Erläuterungen, in denen er zeigte, wie im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts vier Darmstädter Prinzessinnen in die russische Zarenfamilie einheirateten. Die russische Kapelle auf der Mathildenhöhe ist selbst Gegenstand dieser Ausstellung, war sie doch die einzige Hofkapelle der Romanows außerhalb Russlands, eben in Darmstadt, der Heimat der letzten Zarin Alexandra Fjodorowna, Prinzessin Alix von Hessen. Wolf gab auch einen Überblick über die russischen Revolutionen von 1905 und 1917, die das Zarenregime im Mark erschütterten, schließlich zur Abdankung und 1918 zur Ermordung der Familie durch die Bolschewiki führten.
Die Ausstellung spannt einen Bogen von der prunkvollen Zarenkrönung 1896, die durch ein fürchterliches Massensterben begleitet wurde, weil die Moskauer Bevölkerung im Andrang an die zu vergebenden Krönungsbecher zu hunderten in eine ungesicherte Grube stürzte, bis zum Revolutionsjahr 1917. Dabei wird deutlich, in welch hohem Maße sich Tradition und Moderne durchdringen. Die tiefe Religiosität in der Agrargesellschaft wird durch das riesige Prozessionsbild „Tag der Verklärung Christi“ verkörpert. Dagegen stehen moderne Plakate einer entstehenden Konsumgesellschaft. An einer deutschen Singernähmaschine sitzt allerdings eine Russin in traditioneller Tracht. Das Krönungsbild des Zaren zeigt, wie er sich selbst die Krone aufsetzt, da er gleichzeitig oberster Priester des Landes ist und es über ihm keine andere Instanz gibt. Nikolaus II. hat diese Herrscherfunktion besonders stark konservativ ausgeprägt, weil er deutlich unter dem Eindruck der Ermordung seines Großvaters, ebenfalls mit einer Darnstädter Prinzessin verheiratet, durch Revolutionäre stand. Mit dieser Krönung von 1896 beginnt das Medienzeitalter, weil sie erstmals in einem Dokumentarfilm festgehalten wurde, der auch in der Ausstellung zu sehen ist.
Moderne westliche Kunst trifft immer wieder auf russische Volkskunst, die Pracht der Fabergé Eier kontrastiert mit Bauerntracht und Möbeln mit traditionellen Mustern und Formen, die vor allem in den Künstlerkolonien gepflegt werden. Diese Formen steigen aber auch auf in die höfische Kunst, werden an Paravents und schließlich sogar im Jugendstildesign sichtbar. Überhaupt weist der russische Jugendstil enge Verwandtschaft mit westeuropäischen Mustern auf. Auch die Theaterkunst und Kostümbildung ist Gegenstand der Ausstellung. Gerade hier zeigt sich Russland äußerst modern, hatte doch der Zar lange das Monopol über die Theater und gestattete nur italienische Oper in konventioneller historistischer Aufführungstechnik. Hier bieten die St.Petersburger und Moskauer Privattheater dann die Bühne für modernste abstrakte Kostüm- und Bühnenbildgestaltung. Diese Theaterrevolution beginnt mit Diaghilew und mündet in der Revolutionsmusik von Rimski-Korsakow und den Eisensteinfilmen „Oktober“ und „Panzerkreuzer Potemkin“.
Passend zur Ausstellung wurden anschließend im Restaurant „Alacarte“ russische Speisen serviert, ein gelungener Auftakt des Geschichtsvereinsjahres 2009.