Dr. Katharina Rauschenberger: Historie der jüdischen Geschichtsschreibung
Wetterauer Zeitung, 7.11. 2008
»Nur Handvoll übrig gebliebener Erinnerungsstücke«
Ausstellungskuratorin Dr. Katharina Rauschenberger referiert über Historie der jüdischen Geschichtsschreibung
von Lutz Schneider
Ausstellung „Fragmente jüdischer Geschichte in Friedberg““
Ausstellungskuratorin Dr. Katharina Rauschenberger referierte beim Friedberger Geschichtsverein über die Geschichte der jüdischen Geschichtsschreibung in Friedberg.
Im Rahmen der Ausstellung „Fragmente jüdischer Geschichte“ im Wetterau-Museum sprach die Ausstellungskuratorin Dr. Katharina Rauschenberger im Bibliothekszentrum Klosterbau über die Geschichte der jüdischen Geschichtsschreibung in Friedberg. Sie hob die Diskrepanz hervor, die zwischen der einstigen Bedeutung der Jüdischen Gemeinde Friedberg und der Handvoll übrig gebliebener Erinnerungsstücke an ihre Geschichte liegt. Daher gebe es für die Friedberger jüdische Geschichte viele Informationen quasi nur aus zweiter Hand. Eine zweite indirekte Quellengattung sei die Jüdische Geschichtsschreibung selbst, die in Friedberg schon früh betrieben worden ist. Ihr Vortrag sollte daher zum einen die Entwicklung jüdischer Historiographie vor Augen führen und zum anderen mit Blick auf die jüdische Geschichtsschreibung helfen, unser eigenes Interesse an dem Thema zu reflektieren und in diese Entwicklung einzuordnen.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit der jüdischen Geschichtsschreibung stand das mittelalterliche Judenbad. Sein Rückkauf durch die jüdische Gemeinde Friedberg war verbunden mit der Gründung des „Vereins zur Erhaltung jüdischer Altertümer“ im Jahre 1892. Das Judenbad wurde nun zum Gegenstand der Forschung. Innerhalb des Friedberger „Vereins für jüdische Geschichte und Altertümer“ war es der Lehrer und Geschichtsforscher Heinrich Ehrmann, der sich in der Historiographie einen Namen machte.
Während sich nichtjüdische Historiker aus Unkenntnis hebräischer Quellentexte vor allem der Rechtsgeschichte widmeten wurde dieser Blick durch die jüdischen Historiker relativiert, die sich vornehmlich mit hebräischen Quellentexten des Mittelalters oder der frühen Neuzeit befassten und sich in Gesamtdarstellungen vor allem auf die Gelehrtengeschichte und die Leidensgeschichte des Judentums konzentrierten.
Diese Entwicklung deutsch-jüdischer Historiographie endete im Jahr 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Mit der Geschichte Friedbergs befasste jüdische Historiker taten dies meist aus den Ländern ihrer Emigration, so z.B. der aus Bergen bei Frankfurt stammende Jurist Ludwig Rosenthal, der 1933 erst nach Holland und dann 1939 nach Guatemala emigrierte.
Auch der bekannte jüdische Historiker Adolf Kober schrieb von New York aus Beiträge zur Friedberger jüdischen Geschichte. Aus der Intention das kulturelle Erbe des deutschen Judentums festzuhalten erfolgte im Jahr 1955 in Jerusalem, New York und London die Gründung des Leo Baeck Instituts, das sich dem Erhalt der deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung verpflichtet hatte.
Auch nichtjüdische Historiker setzten in Friedberg bereits in den 1950er Jahren die jüdische Geschichte wieder auf ihre Agenda. Die beiden wichtigsten Namen in diesem Zusammenhang sind Fritz H. Herrmann und Wilhelm Hans Braun. Herrmann, der in den Jahren 1935 bis 1986 Schriftführer und Herausgeber der Friedberger Geschichtsblätter war, erlebte quasi parallel zur Vernichtung jüdischen Lebens in Friedberg seine öffentliche Anerkennung als Historiker in Friedberg. In den ausgehenden 70er und beginnenden 80er Jahren änderte sich die Situation durch die Gründung neuer universitärer Fachbereiche mit dem Schwerpunkt „jüdische Studien“.
Zur ersten Generation von Studenten an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg gehörte Andreas Gotzmann, der die beiden Bände „Kehilat Friedberg“ in den Wetterauer Geschichtsblättern herausgab und heute Professor der Judaistik an der Universität Erfurt ist.
Auch begannen seit Mitte der 80er Jahre in vielen deutschen Städten einzelne Historiker, die NS-Geschichte vor Ort zu erforschen. In Friedberg hat sich Hans-Helmut Hoos in dieser Hinsicht verdient gemacht.
Rauschenberger betonte, dass Jüdische Geschichte nicht bloß Leidens- und Verfolgungsgeschichte sei, sondern dass die Schilderung des aktiven Parts der Juden in der Geschichte und die Einbettung der jüdischen in die allgemeine Geschichte neue Interpretationsmuster sind, die heute an die jüdische Geschichte herangetragen werden.
Im Anschluss an den mit viel Beifall bedachten Vortrag entspann sich eine lebhafte Publikumsdiskussion über das Verhältnis zwischen Deutschen und Juden während der NS- und unmittelbaren Nachkriegszeit.