Peter Neuhof: Bewegende Zeugnisse einer schlimmen Zeit
Wetterauer Zeitung, 21.11.2007
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Peter Neuhof liest aus seinem Buch >>Als die Braunen kamen<<
von Hans Wolf
(hw) „Als die Braunen kamen“ ist der Titel seiner Autobiografie, aus der Peter Neuhof im Friedberger Geschichtsverein vor einem gebannt lauschenden Publikum las. Er stammt aus der jüdischen Familie Neuhof, die in Friedberg wohnte. Sein Vater hat den gesamten 1. Weltkrieg mitgemacht, wurde mehrfach verwundet und von Kaiser Wilhelm II. persönlich mit dem EK II ausgezeichnet. Er kehrte als Pazifist aus dem Krieg zurück und engagierte sich zusammen mit seiner nichtjüdischen Frau in Berlin in der Weimarer Republik in der kommunistischen Arbeiterbewegung für eine friedliche und gerechtere Welt.
Peter, 1925 geboren, hat als Kind und Jugendlicher erlebt, wie seine Eltern nach 1933 zunehmend rassisch und politisch verfolgt wurden. Die erste Hausdurchsuchung nach Waffen, die aber wenig engagiert durchgeführt wurde, erlebten sie im Frühjahr 1933. Sein Vater war an der Berliner Getreidebörse tätig, konnte aber nach dem Geschäftsboykott im April 1933 seinen Beruf nur noch sehr eingeschränkt ausüben. Sein Onkel, Edgar Maurer, der in Friedberg in der Weimarer Zeit gegen die Nazis agitiert hatte, wurde polizeilich verfolgt und suchte bei den Verwandten in Berlin Unterschlupf, genau so wie später der kommunistische Landtagsabgeordnete Wilhelm Beutel, der mehrmals illegal in Berlin auftauchte und von Neuhofs vor der Gestapo versetckt wurde. Die Friedberger Verwandten berichteten nach Berlin auch von der Pogromnacht im November 1938, in deren Verlauf zahlreiche jüdische Geschäfte und Wohnungen demoliert und die Bewohner gequält wurden, wobei die nicht betroffenen Anwohner interessiert aus den Fenstern schauten und die Polizei das verbrecherische Treiben der Nazis geschehen ließ. Auch ein Verwandter der Neuhofs in Mockstadt wurde schwer misshandelt und im KZ Buchenwald ermordet. Die Täter in Mockstadt erhielten nach dem Krieg für diese Misshandlungen eine einjährige Gefängnisstrafe. Von der Deportation der letzten in Friedberg lebenden Juden war seine Großmutter Helene Neuhof betroffen, die mit 80 Jahren auf den Transport nach Theresienstadt musste, den sie nicht überlebte. Der Sohn, obwohl in Berlin inzwischen zur Zwangsarbeit verpflichtet und als Jude nicht mehr berechtigt, mit der Bahn zu fahren, besuchte seine Mutter wenige Tage vorher in Friedberg, um Abschied zu nehmen. Ein Mititärarzt hatte ihn freundlicherweise krank geschrieben, so dass sein Fehlen bei der Zwangsarbeit entschuldigt war. Im Laufe der Lesung wurde deutlich, dass Peter Neuhof immer wieder Glück hatte und auch hilfsbereite Mitläufer fand. Er hütete sich bei seinem Vortrag vor Schwarzweißmalerei.
Die immer beengter und gefährlicher werdende Lebenssituation spitzte sich dramatiisch zu, als der seit 9 Jahren auf den Fahndungslisten der Gestapo stehende Wilhelm Beutel 1942 abermals illegal in Berlin auftauchte. Er war aus dem besetzten Holland nach Deutschland zurückgekehrt, um eine Widerstandsbewegung gegen Hitler aufzubauen. Er hielt sich nachts in der Wohnung der Neuhofs auf, musste bei Fliegeralarm auch dort bleiben und tauchte tagsüber in der Millionenstadt unter. Als zwei Mitglieder dieser Widerstandsgruppe, von einem Hitlerjungen angezeigt, verhaftet wurden, flog die ganze Organisation auf. Es wurden Briefe von Beutel gefunden, in denen eine Berliner Adresse genannt war, von der Frau Neuhof einen Mantel für ihn abgeholt hatte. Auf diesem Weg fand die Gestapo auch zu Neuhofs, beide Eltern wurden verhaftet. Aus dem Untersuchungsgefängnis schrieb der Vater rührende Briefe, in denen er sich um die Weiterbildung des nun auf sich gestellten 17 jährigen Sohnes kümmerte. Er gab ihm Lektüreempfehlungen. Eines Tages wurden dem Jungen im Gefängnis die Habseligkeiten seines Vaters übergeben, der zu diesem Zeitpunkt bereits im KZ Sachsenhausen erschossen worden war. In dem Rucksack befand sich auch ein illegal geführtes Tagebuch des Vaters. In ihm wird berichtet, wie sich die Todeskandidaten in der sog. Judenzelle gegenseitig allgemeinbildende Vorträge hielten, um das Warten auf denTod zu ertragen. Peter Neuhof fühlte sich verpflichtet, für die bessere Welt, die sein Vater erstrebt hatte, weiter zu kämpfen. Sein eigenes Tagebuch führte er nicht weiter, um bei einer evtl. Verhaftung keine Spuren zu hinterlassen. Er erlebte den Bombenkrieg in Berlin als Befreiung. „Seine“ Alliierten zerbomten den NS-Staat. Auch die Russen sah er als die Helfer für eine bessere Welt. Sie haben auch seine Mutter von dem Todesmarsch aus dem Frauen-Kz Ravensbrück befreit. Vorher hatte er ihr ein Paket mit Nahrungsmitteln ins KZ gebracht, eine ganz unglaubliche Geschichte. Er wurde tatsächlich in der politischen Abteilung vorgelassen und erfuhr später, dass Teile der Rationen über eine Mitgefangene, die auf der Schreibstube arbeitete, tatsächlich bei der Mutter ankamen. Wilhelm Beutel erhielt nach seiner Verhaftung einen Prozess vor dem Volksgerichtshof und wurde in Köln hingerichtet.
So viel zu den Fakten, die Peter Neuhof sichtlich gerührt und tief über sein Manuskript gebeugt vortrug. Er musste immer wieder einhalten und sich eine Träne aus den Augen wischen. Aus den Briefen seines Vaters zu lesen, war ihm ganz unmöglich, zu sehr bewegen ihn diese ganz persönlichen und liebevollen Aussagen des gequälten Häftlings. Die Zuhörer dankten ihm für seinen sehr authentischen und bewegenden Vortrag mit herzlichem Beifall. Bürgermeister Michael Keller wies darauf hin, dass in Friedberg-Fauerbach neuerdings zwei Straßennamen nach Friedberger Widerstandskämpferinnen benannt sind, Antonie Maurer, der Tante von Peter Neuhof, und Auguste Mönch.