Muenkler Imperien

Kreisanzeiger, 1.10.2005

»Dem Publikum tiefe Einblicke in die Gedankenwelt gewährt«

Politikwissenschaftler Herfried Münkler referierte im Rahmen der Reihe „Friedberg lässt lesen“ – OVAG-Gebäude war außerordentlich gut besucht

von pe


FRIEDBERG (pe). Als „wandelnder Ein-Mann-Think Tank“ wurde er von den Organisatoren vorgestellt – und als wissenschaftliche „Allzweckwaffe“: Mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler kam ein Sohn der Stadt zum Vortrag nach Friedberg. Die zweite Veranstaltung der Reihe „Friedberg lässt lesen“ der OVAG und der Buchhandlung Bindernagel war sehr gut besucht – gleichzeitig war es die erste Lesung der Reihe im OVAG-Gebäude.Wobei „Lesung“ der falsche Begriff wäre: Münkler las nämlich nicht aus seinem Buch „Imperien“ vor, sondern erklärte den Zuhörern, wie er die Theorie, die seinem neuen Werk zugrunde liegt, entwickelt hat. Münkler beschäftigt sich in seinem Buch mit den Funktionsmechanismen von Imperien. Dabei verglich er Reiche aus allen Epochen. Ein Geschichtswissenschaftler würde eine solche Vorgehensweise für zu global halten, würde eher ein einzelnes Imperium in seiner Epoche betrachten und Vergleiche ablehnen. Dem hält Münkler entgegen, dass er nicht Details miteinander vergleiche, sondern Grundzüge einer imperialen Entwicklung.Zu Beginn definierte er, was „Imperien“ von Staaten unterscheide. „Ich schaute in einem englischen Lexikon nach und fand da Empire: big state. Unbefriedigend.“ Imperien hätten den Anspruch der Einmaligkeit. Sie wollen in ihrem Kulturkreis alleine herrschen. Gleichzeitig seien Imperien Garanten einer politischen Weltordnung.Es sei wichtig zu analysieren, wie die „Machtressourcen in einem Imperium gemischt sind“. Münkler beschrieb etwa das Mongolenreich des Dschingis Khan als ein Imperium, das sich einseitig auf militärische Macht gestützt habe. Ziel eines Imperiums müsse es sein, den „Machtmix“ ausgewogen zu gestalten. Münkler nannte als zentralen Begriff die „augusteische Schwelle“. Als Augustus Kaiser des römischen Reichs wurde, habe er die Struktur der Provinzverwaltung geändert – die Provinzen an den Grenzen des Reiches wurden nicht mehr von Statthaltern ausgeplündert, sondern es wurden feste Steuern festgelegt. Damit habe er unter den Provinzbürgern für Frieden gesorgt. Gleichzeitig waren nun Mittel im Staatshaushalt frei und Augustus konnte ins Zentrum seines Reiches, nämlich Rom, investieren. Das Vernünftige daran sei vor allem gewesen, dass die Peripherie des Reichs gestärkt wurde. Ebenso sei es das Verdienst des Augustus, den verlustreichen Feldzug in Germanien, den Münkler als „Partisanenkrieg“ bezeichnet, beendet zu haben.Und dann wechselte Münkler in die Moderne – die Beschäftigung mit den Imperien mündet natürlich automatisch darin, dass er sich mit dem nach seiner Definition derzeit einzigen existierenden Imperium auseinandersetzt, nämlich der USA. „Es könnte sein, das der Irak das Germanien der Amerikaner wird,“ sagte Münkler. Ein ohnehin schwacher Gegner habe alle Zeit der Welt für seine Attacken, während das Imperium bei einer Bedrohung sofort zuschlagen müsse, um sein Zentrum, das aus „prosperierenden Friedensterritorien“ bestünde, zu schützen.Münkler sprach auch über die Rolle der Europäischen Union in dieser politischen Konstellation. Die EU stünde vor einem doppelten Problem: sie könne nicht „Ressourcenlieferer“ für die USA sein.Noch schwieriger betrachtete er aber die „diffuse Grenze“ Europas mit Konfliktzonen im Osten wie dem Kaukasus, dem Südosten mit dem Balkan und dem Süden mit den islamischen nordafrikanischen Staaten. Dabei sprach er auch über die Rolle der Türkei und die Diskussion um den EU-Beitritt. Es sei ein Fehler gewesen, der Partei die „privilegierte Partnerschaft“ anzubieten, weil sie sich dadurch automatisch zurückgesetzt fühlte, nachdem zuvor bereits Ländern wie Rumänien und Bulgarien die Vollmitgliedschaft angeboten wurde.Die Türkei sei für die Sicherheit Europas eine wichtige Zone – sie sei ein stabiler „Sperrriegel“, der das Zusammenfließen der Krisenregionen im Kaukasus und Balkan verhindere. Daher sei eine gute Beziehung zur Türkei sehr wichtig; es wäre für die EU sehr ungünstig, wenn sie sich nach Asien orientieren würde oder islamistische Parteien dort an die Macht kämen. Nach seinem Vortrag beantwortete Münkler noch zahlreiche Fragen aus dem Publikum, etwa zur Rolle des NS-Staates im Kreis der Imperien oder der Möglichkeit einer künftigen Machtstellung Chinas in der Welt.Die OVAG-Reihe „Friedberg lässt lesen“ wird am Sonntag, 9. Oktober, fortgesetzt. Der Schauspieler Ernst Konarek liest dabei im Bibliothekszentrum Klosterbau Friedrich Schillers Erzählung „Verbrecher aus verlorener Ehre.“

Veranstaltungen
< 2024 >
März
MDMDFSSo
    123
45678910
11121314151617
18192021222324
25262728293031