Exkursion Wetterauer Dorfkirchen Teil IV
Wetterauer Zeitung, 09.07.2005
»Zeugnisse norddeutscher Backsteingotik«
Hochinteressante viertägige Exkursion des Geschichtsvereins in Mecklenburg-Vorpommern
von Hans Wolf
Friedberg. Zeugnisse der norddeutschen Backsteingotik und Werke Ernst Barlachs in Mecklenburg-Vorpommern waren das Ziel der diesjährigen, erstmals viertägigen Exkursion des Friedberger Geschichtsvereins unter der Leitung des Vorsitzenden Hans Wolf.
Am Beginn der Fahrt stand eine kurze Einführung in die Geschichte der Ostseeküste. Vorpommern, von den slawischen Pomoranen besiedelt und von Polen aus christianisiert, bis 1673 von dem Geschlecht der Greifen regiert, dann zeitweilig brandenburgisch, im 30-jährigen Krieg von den Schweden besetzt, kam 1816 zu Preußen. Nach der Wende wurde es mit Mecklenburg zu einem Bundesland vereinigt. In der Reichsgeschichte spielte Mecklenburg keine große Rolle und hatte lange gegen seinen Ruf als zurückgebliebener Landstrich zu kämpfen.
Vom 12. Jahrhundert bis 1918 wurde das einst von germanischen Stämmen bewohnte Land von ein und demselben Geschlecht slawischer Herzöge regiert. Nach einer Zeit der Slawenherrschaft wurde das Gebiet durch Heinrich den Löwen endgültig mit freien Bauern aus Niedersachsen und dem Rheinland besiedelt. Im 30-jährigen Krieg eignete sich der Adel nach und nach das Land an, nahm den wenigen überlebenden Bauern ihre Freiheit und übte auf den entstehenden riesigen Gütern eine nahezu unbeschränkte Herrschaft aus.
Erstes Ziel der Reise war Schwerin, die an sieben Seen liegende Hauptstadt des Bundeslandes, eine Gründung Heinrichs des Löwen. Die Architektur der Stadt kennzeichnet ein ausgeprägter Eklektizismus. So beherrscht das Bild der Altstadt die in reiner Backsteingotik zwischen 1270 und 1416 errichtete monumentale Basilika des Doms, die als gotischer Neubau einen romanischen Vorgängerbau ersetzte. Der neugotische Westturm von 1892 ist noch heute der höchste des Landes. Das malerisch auf einer Insel liegende Schweriner Schloss gilt als eines der Hauptwerke des deutschen Historismus. Die Markthalle aus dem Ende des 18. Jahrhunderts zeigt dagegen ein spätbarockklassizistisches Gepräge, und das Altstädtische Rathaus hat eine Fassade im Stil der englischen Tudorgotik.
Wolf erinnerte an zwei große literarische Gestalten Mecklenburgs: den im 19. Jahrhundert populären Dichter Fritz Reuter, der als Anwalt der kleinen Leute gegen preußischen Militarismus, patriarchalische Gutsherrschaft und soziale Ungerechtigkeiten seiner Zeit mit seinem entlarvenden Humor anschrieb. Durch seine Güstrower Kindheit ist der Schriftsteller Uwe Johnson mit Mecklenburg verbunden. Er ging 1959 nach Westdeutschland und gelangte als »Dichter der beiden Deutschland« zu Ruhm. Nach Schwerin führte die Exkursion nach Wismar, das um 1200 gegründet wurde. Das Stadtbild wird von den drei gotischen Hauptkirchen dominiert. Die Georgenkirche, entstanden zwischen 1230 und 1490 als dreischiffige Basilika mit mächtigem Querhaus, brannte 1945 nahezu vollständig aus. Sie wird zurzeit aus Mitteln der deutschen Denkmalstiftung und mit Hilfe zahlreicher Spenden restauriert. Von der Marienkirche, einer gotischen Basilika, blieb nach Kriegsende nur ein von der Stadt früher als Seezeichen benutzter mächtiger Turm. Im Inneren der St. Nikolai-Kirche, einer spätgotischen Backsteinbasilika, finden sich neben barocker Ausstattung aus dem 18. Jahrhundert vor allem ein spätgotischer Schifferaltar und viele nach dem letzten Weltkrieg aus zerstörten Kirchen hierher ausgelagerte gotische Kunstwerke.
Barocke und klassizistische Giebelhäuser umsäumen den Marktplatz und das Wahrzeichen der Stadt: die einst der Bierbrauerei dienende Wasserkunst aus der Renaissance. Ein eindrucksvolles Renaissancebauwerk besitzt die Stadt auch in der Fürstenhofresidenz, die Herzog Johann Albrecht I. nach dem Vorbild italienischer Palazzi nach seiner Vermählung mit Anna Sophia von Preußen errichtete.
Von Wismar ging die Fahrt nach Bad Doberan. Seine Geschichte beginnt 1171 mit der Gründung des ersten Zisterzienserklosters Mecklenburgs, das sich bald zum wohlhabendsten, politisch und kulturell einflussreichsten Kloster des Landes entwickeln sollte. Das Doberaner Münster, begonnen 1294, zählt zu den schönsten und architektonisch reifsten Werken der norddeutschen Backsteingotik.
Anschließend führte die Reise nach Rostock. 1218 gegründet, erlangte es während der Hansezeit durch den Zwischenhandel mit dem Osten große Bedeutung. Schon 1419 wurde die »Leuchte des Nordens«, die Landesuniversität, ins Leben gerufen. Für den sich ständig ausweitenden Getreideexport entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts große Schiffswerften. Der Rostocker Hafen gewann nach der Wende wegen seiner Fährverbindungen zum Beispiel nach St. Petersburg und die baltischen Staaten erneut große Bedeutung. Das Zentrum der Stadt bildet der Alte Markt mit der Pfarrkirche der Altstadt St. Peter, einer querschifflosen Backsteinbasilika aus dem 14. Jahrhundert. Die bedeutendste der Rostocker Kirchen ist die Marienkirche der Neustadt von 1290, eine Basilika mit Chorumgang und Kapellenkranz, einem den weltlichen Bedürfnissen des Rates dienenden Querhaus und einem. Turm aus der Mitte des 15. Jahrhunderts.
Von Rostock aus ging es für einen Abstecher ins Landstädtchen Tribsee, das in seiner gotischen Thomaskirche mit dem »Mühlenaltar« eine besondere Kostbarkeit aufweist.
Greifswald, das als nächstes aufgesucht wurde, ist eine Gründung des Zisterzienserklosters Eldena. Vom 13. bis 17. Jahrhundert gehörte Greifswald der Hanse an. In der 1456 gegründeten Landesuniversität haben unter anderen Ulrich von Hutten, ihr Namenspatron Ernst Moritz Arndt, Turnvater Jahn und Ferdinand Sauerbruch gelernt und gelehrt. Am Greifswalder Markt trifft man auf eindrucksvolle Bürgerhäuser mit reicher Backsteinornamentik und ein gotisches, später im Stil der Renaissance umgestaltetes Rathaus. Zu den Berühmtheiten, die aus Greifswald hervorgingen, zählt neben C. D. Friedrich auch Hans Fallada.
Drei markante Kirchtürme prägen das Bild der Stadt. Die Nikolaikirche, eine neugotisch renovierte Kirche der Kaufleute, die Jakobskirche, eine dreischiffige Hallenkirche, und die St. Marienkirche von 1260, eine nüchterne dreischiffige Halle mit Vorhalle, einem voluminösen Turm und einem reich verzierten Ostgiebel.
An Greifswald schloss sich ein Rundgang durch Stralsund an. Die aus einem slawischen Fischerdorf erwachsene Stadt gehörte ebenfalls der Hanse an und erlebte in der Zeit nach dem Frieden von Stralsund im Jahr 1370 den Höhepunkt ihrer Macht. Als Kirche der Neustadt dient St. Marien, eine hochgotische Backsteinbasilika. Das Innere beeindruckt allein schon durch seine schiere Größe. Die dem Patron der Seefahrer geweihte Nikolaikirche ist eine dreischiffige Basilika und birgt im Inneren viele Kunstschätze – wie zum Beispiel den barocken Hauptaltar von Andreas Schlüter. An der Südseite des Alten Markts findet sich ein weiteres Juwel der norddeutschen Backsteinkunst: die sechsgiebelige Front des Rathauses, das mit seiner repräsentativen Schaufassade vielen Rathäusern im Ostseeraum als Vorbild diente.
Der letzte Tag war Güstrow gewidmet, der Stadt am Nebel mit dem aus einer Burg hervor gegangenen Schloss – einer kunstgeschichtlich – bedeutenden Dreiflügelanlage im Stil der Renaissance, das von 1556 bis 1695 mecklenburgische Residenz war, und dem schönen Ensemble von Giebelhäusern der Altstadt aus der Zeit der Renaissance, des Barock und des Klassizismus. Der abseits der Altstadt liegende Dom Cäcilia und St. Johannes, eine im Kern romanische dreischiffige Backsteinbasilika mit Chor, ist die Stiftung eines frühen mecklenburgischen Herzogs.
Die reiche Ausstattung im Inneren bietet ein Spiegelbild mecklenburgischer Kunst aus sechs Jahrhunderten: einen frühgotischen Taufstein, mittelalterliche Apostelfiguren, mehrere Renaissancegrabmäler und vor allem Werke Ernst Barlachs, darunter den als Ehrenmal für Güstrower Gefallene geschaffenen »Schwebenden«. Ernst Barlach kam 1910 aus Berlin nach Güstrow und lebte hier bis zu seinem Tod 1938. Seine ausdrucksstarken Plastiken, die häufig Erniedrigte und Gequälte darstellen, galten den Nationalsozialisten als »entartete Kunst«. Die bekanntesten seiner Werke sind in der Güstrower Gertrudenkapelle ausgestellt. Ein letzter Besuch vor der Heimreise galt Barlachs Atelierhaus am Inselsee, das als Museum dient und neben Zeichnungen und Grafiken des Künstlers zahlreiche seiner Gips-, Holz- und Bronzeplastiken zeigt.
Die Teilnehmer der Fahrt dankten Hans Wolf und seiner Frau für Planung und Durchführung der Fahrt, die allen auf lebendige Weise neben vielen historischen Kenntnissen vor allem bleibende Eindrücke von einer bedeutenden Epoche der Kunstgeschichte vermittelte. Die Viertagefahrt wird vom 8. bis 11. September wiederholt Anmeldungen nimmt der Geschichtsverein unter Tel. 06031/189703 entgegen.