Vortrag Hans Wolf: Straßennamen als Marksteine der Stadtgeschichte
Wetterauer Zeitung, 16.11.2004
»Marksteine der Stadtgeschichte«
Hans Wolf spricht vor dem Geschichtsverein über Straßennamen
von Klaus-Dieter Rack
Unlängst schloss der Friedberger Geschichtsverein seinen zweiteiligen Vortragszyklus über Friedberger Straßennamen ab. Nachdem Vorstandsmitglied Dr. Vielsmeier im April bereits über die von Flurnamen abgeleiteten Straßenbezeichnungen in Friedberg und den Stadtteilen referierte, sprach Hans Wolf, der Vorsitzende des Friedberger Geschichtsvereins, nun über die von Personen herrührenden Straßennamen. Im Gegensatz zum Zeitzeugengespräch zur VfB-Geschichte Anfang Oktober war das Bibliothekszentrum eher spärlich gefüllt. Eine zeitgleich stattfindende Theaterveranstaltung der Volksbühne trat offenbar in Konkurrenz zu diesem lehrreichen, mit Lichtbildern untermalten Vortrag des Geschichtsvereins.
Hans Wolf erinnerte zu Beginn an Heimatforscher Wilhelm Braun, der 1949 in der Wetterauer Zeitung einige Artikel über Friedberger Straßennamen publizierte und damit erkennbar einem Bedürfnis der Öffentlichkeit nachkam.
Kurz nach Ende des II. Weltkrieges lebten in Friedberg viele Neubürger – Ausgebombte aus Großstädten, Flüchtlinge, Heimatvertriebene -, die in Friedberg ansässig wurden und am neuen Wohnplatz neue Identität und Orientierung suchten. Braun schrieb: „die einen lernen ihre Heimat neu, die anderen ihre neue Heimat kennen“. Dabei halfen eben auch die Kenntnis über die am Ort, in der jeweiligen Wohnstraße vergebenen Namen und Bezeichnungen, die entweder von gewachsenen Flurnamen herstammen, von geographischen Gegebenheiten, aus Erinnerung an von Menschen geschaffene Institutionen oder aber eben von Personen mit lokaler und überregionaler Bedeutung.
Wolf lud nach diesen einleitenden Bemerkungen zu einem Gang durch die Straßen und Gassen Friedbergs ein und stellte die den gesamten Vortrag umspannende Formel von Straßennamen als „Marksteinen der Stadtgeschichte“ voran.
Die zu allen Zeiten bedeutendste Straße Friedberg ist die Kaiserstraße, die ihren Namen erst nach einem Manöverbesuch Kaiser Wilhelms I. im Jahre 1874 bekam. Seit der Stadtgründung im späten 12. Jahrhundert hieß sie lediglich „Breite Straße“, auf der sich das Handels- und Gewerbeleben der einstmaligen Messe- und Reichsstadt Friedberg abspielte. Eine nähere Kennzeichnung dieser großräumigen Marktstraße war unnötig, da es ansonsten nur Gassen und Wege in Friedberg gab. Vor der Umbenennung zur Kaiserstraße trug die Haupt-Verkehrsachse Friedbergs in der Mitte des 19. Jahrhunderts rund 30 Jahre den Namen Ludwigstraße zu Ehren des Darmstädter Großherzogs von Hessen.
Die Vielgestaltigkeit des städtischen Lebens lässt sich insbesondere an den alten Straßenbezeichnungen in der Altstadt ablesen – Apothekergasse, Badgasse (Standort des Friedberger Badehauses), Engelsgasse (heutiger Straßenname für vier frühere Handwerksgassen: Metzger-, Schuster-, Brau- und Schneidergasse), Färbergasse, Köhlergasse, Schirngasse (die Schirn war eine offene Verkaufshalle), Schnurgasse (Zunftgasse der Weber). Andere Gassen der Altstadt bezeichnen keine städtischen Gewerbe, sondern menschliche Niederlassungen: Augustinergasse (nach den um 1260 gegründeten Kloster der Augustinermönche; zwischen 1581 und 1901 Sitz der Lateinschule/Augustinerschule), Klostergasse (nach Arnsburger Klosterhof), Judengasse und Judenplacken (Wohngassen der Friedberger Juden).
Personennamen als Straßenbezeichnungen gab es bis zum 19. Jahrhundert nur in Form von Heiligen: Barbarastraße (eine Mauerpforte erinnert an die Barbarakapelle; die Hl. Barbara gehörte zu den 14 Nothelfern), Leonhardstraße (ehemals Ort der nach St. Leonhard benannten Kirche und späteren Friedhof in der Mainzer Vorstadt) und die Marienkirche sowie der Jakobusplatz in Ockstadt. Erst im Verlaufe des 19. Jahrhunderts wurden Friedberger Straßen auch nach nichtkirchlichen Personen benannt, es sind aber zuerst Persönlichkeiten von nationalem Rang, denen die Ehre der Straßenbenennung zuteil wurde. Die nach Großherzog Ludwig von Hessen benannte Ludwigstraße firmierte nach 1874 bekanntlich zur Kaiserstraße um und wurde in die frühere Promenadenstraße verlegt. Mit der Ludwigstraße und der nach Reichskanzler Bismarck benannten Straße lagen in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nun erstmals Wohnstraßen außerhalb des mittelalterlichen Mauerrings und dokumentierten den Beginn der städtebaulichen Ausdehnung der Kreisstadt. Von nun an wurden in den neuen Stadtvierteln außerhalb der früheren Mauern zunehmend Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens durch Straßenbezeichnungen geehrt – Politiker, Dichter, Erfinder, Kirchenmänner und Geistesgrößen unterschiedlichster Bedeutung.
So wurde eine Straße nach Friedrich Ebert benannt, dem ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik 1919-1925; 1933-1945 allerdings hieß diese Straße nach Peter Gmeinder, einem frühen Aktivisten der NSDAP. Die Friedrich-Ebert-Straße erhielt aber nach dem II. Weltkrieg ihren alten Namen zurück, ebenso wurde auch die Adolf-Hitler-Anlage wieder zur Mainzer-Tor-Anlage, die Hermann-Göring-Straße erneut zur Gartenfeldstraße und die Fauerbacher Straße hieß nicht länger nach dem NSDAP-Staatspräsidenten Hessens, Ferdinand Werner. Auch die frühere Hindenburgstraße bekam 1947 einen neuen Namen, nämlich nach dem Mainzer Bischof und Begründer der katholischen Sozialbewegung, Wilhelm Ketteler (1811-1877), und sollte so nicht mehr an einen exponierten Wegbereiter der Nationalsozialisten erinnern.
Da man nach 1945 nun auch Persönlichkeiten des Kaiserreichs kritischer bewertete, wurde folgerichtig die nach dem preußischen Generalstabschef von Moltke benannte Straße – einem führenden Militär der mit Blut und Eisen geschmiedeten deutschen Einheit – nun in Friedensstraße umgetauft, ebenso kürzte man die Bismarckstraße und erinnerte nun in deren südlichem Teil an den von den Nazis 1944 hingerichteten früheren hessischen Innenminister Wilhelm Leuschner. Jenseits des Politischen, vom Zeitgeist unabhängig und somit dauerhaft wurden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Plätze, Anlagen und Straßen auch nach Goethe, Luther und Gutenberg benannt. Aber nicht nur solchen in ihrer Wirkungsgeschichte herausragenden deutschen Persönlichkeiten gedachte man in Friedberg, sondern auch einem in seiner Bedeutung auf die Region beschränkten Mundartdichter: 1924 wurde ein Sträßchen nach Peter Geibel (1841-1901) getauft, der hauptberuflich als Tierarzt wirkte.
In den Vierteln der alten Stadterweiterung gedachte man dann auch etlichen Friedberger Lokalgrößen mit Straßennamen – so Johann Philipp Dieffenbach (1786-1860), dem Vater der Friedberger Geschichtsforschung und Rektor der Augustinerschule. Die Schmidtstraße wie die Karl-Trapp-Straße erinnern an Friedberger Kaufleute an der Wende zum 20. Jahrhundert, die auch als bedeutendste Stifter des Jugendstil-Hallenbades unvergesslich bleiben. Die Gebrüder-Lang-Straße erhielt 1936 ihren Namen nach zwei in Friedberg geborenen Chemikern, die sich um die Entwicklung des Elektrolyseverfahrens verdient machten. Die nach Karl Damm getaufte Straße erinnert an den zwischen 1902 und 1921 aktiven hessischen Landtagsabgeordneten und das „Bürgermeisterviertel“ nahe der Kaserne an Stadtoberhäupter an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (Foucar, Scriba, Steinhäußer, Stahl).
Nach dem II. Weltkrieg entstanden im Süden und Westen große Neubaugebiete zur Ansiedlung zahlreicher Flüchtlinge und Heimatvertriebenen. Die neuen Straßen wurden nun aber nicht nach Personen benannt – offenbar hatte man genug von solchen Ehrungen, die auch der Peinlichkeit der Umbenennung infolge politischer Irrwege ausgesetzt waren. Orte in den früheren deutschen Ostgebieten und im Sudetenland, Taunusberge und Bäume boten hingegen unverfängliches Material in Fülle zur Bezeichnung Friedberger Straßen.
Die folgende, abermalige Erweiterung des Baugebietes nach Westen öffnete dann aber Raum für die heimische Kultur – und erneut für die Ehrung von Personen durch Straßennamen. So gedachte man, laut Hans Wolf, dem bedeutendsten Friedberger aller Zeiten, dem Ratgeber Kaiser Karls IV. und späteren Bischof von Verden, Rudolf Rule (+1367), der aus einer Friedberger Ratsfamilie entstammte. Die Rulestraße bildet die Achse dieses Neubaugebiets. Der Benrathweg, benannt nach dem in Friedberg geborenen Schriftsteller und Büchnerpreisträger des Jahres 1932 Albert H. Rausch gen. Henry Benrath, der 1949 in der heutigen Partnerstadt Magreglio am Comer See verstarb, verläuft parallel zur Rulestraße. In der nördlichen Verlängerung liegt der Büchnerweg, der an den bedeutenden hessischen Dichter des Vormärz, auch wegen seiner sozial-revolutionären Werke von Staats wegen verfolgten Georg Büchner (1813-1837) erinnert. Nach Büchner ist der wichtigste deutsche Literaturpreis benannt. Vom Büchnerweg zweigt die Haasstraße ab, die den Gründer des landwirtschaftlichen Konsumvereins Friedberg, Wilhelm Haas (1839-1913) ehrt. Der Benrathweg wird von der Stohrstraße und dem Rothweg durchschnitten, die an den aus Friedberg stammenden Mainzer Bischof Albert Stohr (+1961) und den langjährigen Rektor der Augustinerschule und ersten Leiter des Friedberger Lehrerseminars, Christian Theodor Roth (1766-1848), erinnern. Parallel zum Benrathweg verläuft die Crößmannstraße zum Gedenken an Philipp Peter Crößmann (1793-1852), den ersten Direktor des Friedberger Predigerseminars. Von ihr zweigt der Weidigweg ab, der an Pfarrer Friedrich Ludwig Weidig aus Butzbach erinnert, einem Mitstreiter Büchners, der nach Haft in Friedberg nach Darmstadt verbracht wurde und sich nach brutalen Verhören 1837 selbst tötete.
Im Norden der Ockstädter Straße schließt die Johann-Peter-Schäfer-Straße das Siedlungsgebiet westlich der Seewiese ab. Sie gedenkt des Gründers der Friedberger Blindenschule, des bedeutenden Pädagogen und Sozialreformers J.-P. Schäfer (1813-1902).
Die Straßen im Neubaugebiet am Pfaffenbrunnen wurden nach politisch bemerkenswerten Persönlichkeiten benannt: nach Heinrich Busold (1870-1915), dem ersten aus Friedberg stammenden Reichstagsabgeordneten im Kaiserreich und dem führenden Sozialdemokraten der Wetterau. Nach Ernst Eduard Hirsch (1902-1985), dem in Friedberg geborenen, aus rassistisch-religiösen Gründen 1933 vertriebenen großen Rechtsgelehrten, der in der Türkei Atatürks am Aufbau eines modernen, westlich orientierten Staatswesens beteiligt war.
Auch den beiden ersten weiblichen Stadtverordneten Friedbergs wurden im erwähnten Neubaugebiet zwei Straßen gewidmet – Anna Kloos (1890-1985), Mitglied der DVP, und Katharina Schackey (1874-1937), Mitglied der USPD, jener kurzlebigen „linken“ Abspaltung der SPD. Beide Frauen gelangten 1919 zu parlamentarischen Würden.
Die Erweiterung dieses Neubaugebietes nach Süden heißt Auf dem See; auch hier wurden zwei neue Straßen nach bedeutenden, aus Friedberg stammenden Personen ausgewiesen – den Landräten Hermann Josef Bach (1897-1966), dem von den US-Militärbehörden 1945 eingesetzten Kreisoberhaupt, und dem zwischen 1952 und 1973 an der Kreisspitze amtierenden, populären Erich Milius (1907-1996).
Die neueste Westerweiterung bietet das Baugebiet südlich der Altkönigstraße mit Namen Friedberger Bürgermeister der Nachkriegszeit: Anton Heinstadt (1886-1970), von den Amerikanern am 24. April 1945 eingesetzter Bürgermeister nach dem Ende der NS-Zeit; Fritz Bebber (1899-1976), dem 1946 ersten frei gewählten Bürgermeister, und Karl Raute (1911-1989), 1965 Bebbers Nachfolger, der dann bis 1975 amtierte. Insbesondere den beiden Letzteren ist die beeindruckende Nachkriegsentwicklung Friedbergs zu verdanken.
In diesem Bürgermeister-Areal wirkt der Susanna-Edelhäuser-Weg fremd – Susanna Edelhäuser war die letzte Frau, die 1665 in Friedberg als so genannte Hexe hingerichtet wurde. Ihr Name steht stellvertretend für alle Opfer dieses Verfolgungswahns.
Auch in den verschiedenen Gewerbegebieten wurden Persönlichkeiten durch Straßennamen geehrt – es sind national bedeutsame Erfinder wie Rudolf Diesel und Nikolaus Otto, Unternehmer wie Carl Miele und Eduard Fresenius, Begründer des Genossenschaftswesens wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch.
In Fauerbach, dem ältesten Friedberger Stadtteil, erinnern zwei Straßen an den viele Jahrhunderte dominierenden Ortsadel – Solms und Bünau. Im Baugebiet südlich des Friedhofs kommen erstmals nach dem II. Weltkrieg auch wieder deutsche Spitzenpolitiker mit Straßennamen zu Ehren: die ersten beiden Bundespräsidenten zwiaschen 1949 und 1969, Theodor Heuss und Heinrich Lübke.
Das neueste Fauerbacher Baugebiet erinnert an Verfolgte und Opfer der NS-Zeit: an die im KZ Ravensbrück ums Leben gekommene Friedberger Kommunistin Antonie Maurer, an die Linkssozialistin Auguste Mönch, an die ebenfalls verfolgte Bella Winkhaus; auch an den mit Ausstellungsverbot belegten Maler Carl Barnas.
Am Ende des Gangs durch die Friedberger Straßen erwähnte Wolf noch kurz die Plätze Friedbergs, die nach bedeutenden Persönlichkeiten benannt sind, aber keine Wohnadresse bilden: Konrad Adenauer, erster Bundeskanzler Deutschlands (1949-1963); Elvis Presley, amerikanischer Rock-Star, der 1958-1960 seinen Militärdienst in den Ray Barracks absolvierte; Fritz Usinger, Schriftsteller und Büchnerpreisträger; Wolf Schmidt, gebürtiger Friedberger und legendärer „Babba Hesselbach“, sowie Erich Stümpfig, Heimat- und Mundartdichter.
Die übrigen Friedberger Stadtteile (Bruchenbrücken, Dorheim, Ockstadt und Ossenheim) mit nach Personen benannten Straßen kamen ebenfalls nicht zu kurz. Auch hier wies Wolf auf manche lokale Besonderheit hin: so bei der Von-Franckenstein-Straße in Ockstadt als Erinnerung an das jahrhundertelang den Ort beherrschende Adelsgeschlecht, bei der Carl-Pfeffer-Straße in Dorheim zum Gedenken an einen regional bedeutsamen SPD-Politiker, der aber 1929 noch sehr jung verstarb, bei der Richard-Musch-Straße zu Ossenheim als Erinnerung an den langjährigen Ortsbürgermeister und bei der Erasmus-Alberus-Straße zu Bruchenbrücken zum Andenken an einen Luther-Anhänger des Reformations-Zeitalters. Unter Erwähnung noch einiger weiterer Dichter- (Heine, Uhland, Brecht) und Gewerkschafter/Politiker-Straßennamen (Böckler, Erler) schloss Hans Wolf seinen informativen Vortrag über die von Personen abgeleiteten Friedberger Straßennamen ab.
Wolf würdigte in seinem Schlusswort die vom Stadtparlament in den letzten Jahrzehnten getroffene, wohl bedachte Auswahl der Straßennamen, „die zu jeder Zeit je ein anderes Stück Stadtgeschichte repräsentiert.“
Nach seinem Vortrag und einer kurzen Aussprache überreichte der Vorsitzende des Friedberger Geschichtsvereins Ehrenurkunden an langjährige Mitglieder für 25 und 40 Jahre Mitgliedschaft. Siehe Bild unten: von links Hans Wolf, Herrmann Mangels (40 Jahre), Mechthild Kreißl (40 Jahre), Dr. Klaus-Peter Decker (25 Jahre), Otto Müller (40 Jahre) und Herbert Pauschhardt (40 Jahre).