Flurnamen: Essenz des kulturellen Lebens eines Siedlungsplatzes
Siedlungsplatzes«
Vortrag Dr. Bernd Vielsmeiers über Friedberger Straßen- und Flurnamen
von Klaus-Dieter Rack
Der Friedberger Geschichtsverein setzt sich in diesem Jahr in zwei Vorträgen mit den Straßennamen der Kreisstadt und ihren Stadtteilen auseinander. Zu diesem Zweck war zum letzten Vortragsabend im ersten Halbjahr Dr. Bernd Vielsmeier ins Bibliothekszentrum geladen. Vielsmeier, seit längerem ausgewiesener Flurnamenforscher und Vorstandsmitglied, sprach zum Thema „Friedberger Straßennamen (Flurnamen)“, dem sich Vereinsvorsitzender Hans Wolf im Herbst mit einem Vortrag über die Personennamen anschließen wird.
Der Vortragende verdeutlichte in grundsätzlichen Vorbemerkungen die Merkmale, die Namen und Wörter in ihrem jeweiligen sprachgeschichtlichen Ursprung und ihren Inhalten unterscheiden, auch welche Funktion der Verständigung sie in der Sprache haben.
Dabei ging Vielsmeier anhand von Beispielen auf die inhaltliche Bedeutung von Namen ein, die unter Umständen Aufmerksamkeit wecken, wie der weibliche Vorname Mercedes, der neben seiner Herkunft aus dem Spanischen heute auch mit einer Automobilmarke in Verbindung gebracht wird, oder auch Anstoß erregen und Ablehnung hervorrufen, wie der bis 1945 gebräuchliche, dann aus bekannten Gründen kaum noch vergebene Vorname Adolf. Familiennamen wie Klohocker wirken stigmatisierend und im Falle des Zahnarztes Dr. Aua keineswegs einladend und vertrauenerweckend.
Auch gegenüber Flur- und Straßennamen bestehen manchmal Vorbehalte. So wehrte sich ein Steuerberater gegen den Straßennamen „Eselsweg“ in einem städtischen Baugebiet. Der Mann empfand diesen alten Wegenamen, der als Straßennamen erhalten bleiben sollte, in seiner Geschäftsadresse als schädlich und erreichte, dass die Straße in „Römerstraße“ umbenannt wurde. Beim Friedberger „Edelspfad“, der sich als „Eselspfad“ in der Nachbargemarkung fortsetzt, könnte es sich ebenfalls um einen abgewandelten Namen handeln, der als anstößig empfunden und folglich verändert wurde.
Dem Namen und seinem Aussprechen wird daneben in vielen Kulturen magische Bedeutung beigemessen und oft unterliegt die Namensgebung aus Angst vor Gefährdungen einer Umschreibung. So wurde/wird der Name des Teufels tabuisiert und z.B. mit dem Begriff „der Leibhaftige“ bemäntelt, auch wurden die Leprakranken des Mittelalters nicht nach ihrer Krankheit benannt, sondern nach dem Vorgang der Isolierung von den Gesunden als „Aussätzige“, das heißt „Ausgesetzte“, bezeichnet.
So wurde in Friedberg 1322 ein Acker „by den aussetzigen“ erwähnt, in Bruchenbrücken im Jahr 1516 ein Gelände „by dem guden man“. Letzteres verwies offenbar auf einen isoliert lebenden Mann. „Guter Mann“, „Gute Leute“ und „Feldsieche“ sind verhüllende Bezeichnungen für Leprakranke. Städte, wie Friedberg und Frankfurt, hatten Spitäler vor der Stadt , in denen die Aussätzigen leben mussten, die „Gutleuthäuser“ oder „Gutleuthöfe“. In Frankfurt erinnern daran noch heute die Gutleutstraße, das Gutleutviertel und die Klapperfeldstraße. Die Hütten und Höfe der Leprakranken lagen in der Nähe von überregionalen Verkehrswegen, so in Friedberg an der Landstraße nach Gießen. Die Kranken erbettelten sich von den Reisenden Nahrung und Kleidung, durften sich den Gesunden aber nur nähern, wenn sie sich mit einer Klapper als „unrein“ bemerkbar machten. – Mutmaßlich sind auch die Flurbezeichnungen „Klapperfeld“ und „Klappertannen“ in Ockstadt mit Leprakranken in Verbindung zu bringen.
Mit Straßennamen kann darüber hinaus auch politische Macht dokumentiert werden, so in Friedberg ab 1933. Da wurde, wie andernorts auch, von den Stadtverordneten dem „Dritten Reich“ und seinen Führungspersönlichkeiten durch die Umbenennung von Straßennamen gehuldigt – die „Mainzer-Tor-Anlage“ avancierte zur „Adolf-Hitler-Anlage“, “, die „Gartenfeldstraße“ zur „Hermann-Göring-Straße“ und die „Fauerbacher Straße“ zur „Ferdinand-Werner-Straße“, benannt nach dem hessischen NS-Staatspräsidenten. Mit der Wandlung der „Wilhelmstraße“ in „Saarstraße“ setzte man auch in Friedberg der Rückgliederung des Saargebietes in das Deutsche Reich im Jahre 1935 ein politisches Andenken via Straßennamen.
Nach 1945 wurden die drei nach Nationalsozialisten benannten Straßen wieder rückbenannt. Lediglich die Saarstraße blieb als einzige Namensgebung aus der NS-Zeit erhalten.
Mit der Ansiedlung von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen aus dem Sudetenland und den früheren deutschen Ostgebieten entstanden nach 1945 Neubauviertel und Straßennamen, die an die aufgegebene ehemalige Heimat erinnerten (u.a. „Tepler Straße“, „Karlsbader Straße“, „Breslauer Straße, Danziger Straße“), aber auch einen Gebietsanspruch dokumentierten. Im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses entstanden zudem in den 70er Jahren Straßennamen, wie „Bishop’s Stortfort-Promenade“ und „Villiers-sur-Marne-Promenade“, die aus den Städtepartnerschaften Friedberg resultierten.
Jakob Grimm begründete 1840 in dem Aufsatz „Über hessische Ortsnamen“ die Namenforschung als Wissenschaftsdisziplin. Er erkannte, dass sich in den Ortsnamen für Siedlungsräume alte Begriffe und Sprachformen erhalten haben und sie eine wertvolle Quelle für historische Fragestellungen sein können, wenn sich die ursprüngliche Benennungsursache ermitteln lässt. So ist für Zeitgenossen das Benennungsmotiv einsichtig, dass die Friedberger Stadtverordneten 1994 bewog, einer Straße auf dem Gelände der früheren Aktien-Zuckerfabrik Wetterau den Namen „Zur Zuckerfabrik“ zu geben. Damit bleibt den Friedbergern ein Stück ihrer Stadtgeschichte in Erinnerung und auch nachfolgende Generationen, die die Zuckerfabrik nicht mehr aus Eigenanschauung kennen, verlieren anhand des Straßennamens nicht die Verbindung zur Geschichte dieses Geländes.
Vor allem die Archäologen haben die Flurnamen als Quelle der historischen Forschung nutzbar gemacht. Ein in der Wetterau häufiger Flurname ist „Steinrutsch“, der z.B. in Friedberg seit 1322 und in Bruchenbrücken seit 1716 belegt ist. Den Archäologen fiel auf, dass sich Grundmauern römischer Gutshöfe oft in Äckern fanden, in denen Bauern beim Pflügen mit Pflugscharen hängen blieben und hörbar über Steine rutschten.
Auch ohne spezielle Ortskenntnis von Dorheim und Friedberg entnimmt der Betrachter der Flurnamensammlung im Hessischen Flurnamenarchiv zu Gießen, in dem Dr. Vielsmeier lange Zeit tätig war, Hinweise auf Mineralquellen und deren wirtschaftliche Nutzung, die z.B. in den Gemarkungen der beiden genannten Orte schon ab dem 14. Jahrhundert zu finden sind („versus Surburnen“, „Sauerbornhohl“, „Söderpfad“).
Generell sind durch die Gebietsreform der 70er Jahre und die Eingliederung von Gemeinden in die Stadt Friedberg bei doppelten Straßennamen Umbenennungen erfolgt, die manchmal alte sachgeschichtliche Zusammenhänge früherer Straßen- und Wegebezeichnungen aus dem Bewusstsein rückten, andererseits aber wurde, wie z.B. in Dorheim, durch Neubenennungen, wie „Salzgrafenstraße“, Zum „Germaniabrunnen“„In der Au“ und „Am Hollerberg“, bewusst auf örtliche Wirtschaftstraditionen und alte Flurnamen zurückgegriffen.
Bei der anschließenden exemplarischen Betrachtung von Straßennamen in Friedberg und den Stadtteilen beteiligte sich das anwesende Publikum sehr lebhaft mit Fragen, Beiträgen und Deutungsversuchen zur sprachgeschichtlichen sowie sonstigen Herkunft der zahlreich und anschaulich besprochenen Straßenbezeichnungen.
Der Referent vermochte es, den Anwesenden lehrreich und beispielhaft zu verdeutlichen, dass viele Friedberger Straßennamen aus der örtlichen Geschichte und dem Brauchtum erzählen (wie z.B. die „Pfingstweide“), manche auch Rätsel aufgeben und Neugier nach Erklärung wecken. Generell dürfte jeder Beteiligte fortan bewusster an Straßenschildern vorbeigehen und sich Fragen nach Ursprung und Sinn der Straßennamen stellen. Zur Antwortfindung wurde u.a. auch auf das Stadtarchiv Friedberg verwiesen.
Zum Abschluss wurde dem Publikum noch die neu gestaltete Homepage des Friedberger Geschichtsvereins vorgestellt (www.friedberger-geschichtsverein.de).