Mark Scheibe: Rücksichtslos mordender und plündernder Räuber

Wetterauer Zeitung, 25.11.2011

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Vom Ende des Mythos Schinderhannes berichtet der Frankfurter Jurist Mark Scheibe in einem spannenden Vortrag

von Dr. Joachim Meißner

„Vivat Schinderhannes!““

Vom Ende eines Mythos berichtete der Frankfurter Jurist Mark Scheibe in einem spannenden Vortrag..

 

Er war ein Mann, der den Armen gab, was er den Reichen genommen hatte. Ein Abenteurer und Räuber, vor dem auch Napoleon und seine Revolutionsheere, die vor etwa 200 Jahren weite Teile des Deutschen Reichs kontrollierten, zitterten. Der weltbekannte Schinderhannes war nicht nur ein guter Räuber, sondern ein Freiheitskämpfer noch obendrein. So die vielfach in Liedern, Romanen, Theaterstücken und Spielfilmen immer wieder überlieferte Legende.

Mit dieser Legende endlich und gründlich aufzuräumen, ist das erklärte Ziel des Rechtswissenschaftlers Mark Scheibe. Der promovierte Jurist leitet ein Forschungsprojekt an der Universität Mainz zum „Mythos Schinderhannes“ und hat tausende Seiten Ermittlungs- und Strafakten, Augenzeugenberichte, Tagebücher und Presseberichte über den Schinderhannes ausgewertet.

Die Ergebnisse seiner umfangreichen Forschungsarbeit hat Scheibe am vergangenen Sonntag in seinem Vortrag „Der berüchtigte Schinderhannes – von Friedberg bis Südamerika“ im Ockstädter Bürgerhaus vorgestellt. Assistiert wurde ihm dabei von Pfarrvikar Christian Pohl aus Beselich im Westerwald, der die zahlreichen, immer wieder in den freien Vortrag eingestreuten Zitate aus Quellen und Dokumenten verlas. Beide folgten einer gemeinsamen Einladung der Geschichtsvereine aus Ockstadt und Friedberg, in deren Namen die Vorsitzenden Werner Margraf und Lothar Kreuzer mehr als 80 interessierte Besucher begrüßen konnten.

Was die Geschichtsfreunde zu hören bekamen, stimmt mit dem Bild vom edlen Räuber und selbstlosen Helden in keiner Weise zusammen – im Gegenteil. Der historische Schinderhannes, 1779 in Nastätten im Hintertaunus als Johannes Bückler geboren, war einer der schlimmsten Verbrecher seiner Zeit. Ein rücksichtlos mordender und plündernder Räuber, der schon als Jugendlicher Geld unterschlug, Pferde stahl oder aus rasender Eifersucht einen Nebenbuhler ermordete. Auf dessen „auf dem am Boden liegenden Körper“, so weiß Scheibe zu berichten, „ist der junge Schinderhannes so lange herum getrampelt, bis er ihm sämtliche Knochen zerbrochen hatte – da war er erst 16 Jahre alt.“

Um an Geld zu kommen, schreckte Schinderhannes auch nicht davor zurück, Menschen erbarmungslos zu quälen. Scheibe kann aus Prozessunterlagen zitieren, die zeigen, dass Bückler äußerst brutal zu Werke ging, wenn ihm dies nur Beute versprach. So hatte er der Elisabeth Frick aus Merxheim solange ein brennendes Licht unter die Achsel gehalten, bis sich eine tiefe, schmerzhafte Wunde gebildet und sie schließlich das Geldversteck der Familie preisgegeben hatte. Die unterhaltsam vorgebrachten und zugleich erschreckenden Details aus dem Leben des Schinderhannes, konnte der Referent mit einer penibel zusammengetragenen Kriminalstatistik belegen. Eindrucksvoll ist das Bewegungsprofil, das Scheibe erstellt hat und das anhand von Kartenmaterial zeigt, wo der Räuber im Laufe seiner Karriere zugeschlagen hat. Dabei zeigte sich auch, dass die Wetterau ebenso wie die Gegend um Limburg von zahlreichen Grenzlinien durchzogen war und deshalb als ideales Rückzugsgebiet für die Verbrecher fungierte.

Mit diesen Methoden ließ sich auch nachweisen, dass der Schinderhannes keineswegs für alle Taten verantwortlich sein konnte, die man ihm damals zuschrieb. Ganz Mitteleuropa war um 1800 von einem Netz hauptberuflicher Mörder, Räuber und Diebe überzogen. Um Angst und Schrecken zu verbreiten, nutzten Mitglieder dieser Banden und kleinere Ganoven den Namen Schinderhannes. „Vivat Schinderhannes!“ konnte es dann heißen, obwohl der Genannte gar nicht bei den Überfällen dabei war. Eine Tatsache, die einmal mehr zu seiner Legendenbildung beitrug.

Dabei war der Schinderhannes durchaus ehrgeizig, so Scheibe in seinen Ausführungen. „Er wollte richtig zu Geld kommen, er wollte ein großer Verbrecher werden, denn er wollte seinen Vorbildern folgen und Mitglied der großräumig und international agierenden Niederländer Bande werden.“ Aber so kühn wie diese Bande, die es wagte, mit 50 Mann zu Pferde in die Stadt Nürnberg einzufallen und die Stadtkasse mitzunehmen, war der Schinderhannes niemals. Scheibe schrumpft das Bild vom großen Räuber auf Normalmaß: „Der war ein ganz kleiner Verbrecher“ und hatte keine eigene Bande oder war gar ein Räuberhauptmann.

Mit 19 anderen Verbrechern wurde Johannes Bückler schließlich am 21. November 1803 in Mainz hingerichtet. Eineinhalb Jahre zuvor hatte man ihn im östlichen Hintertaunus festgenommen. Glück für ihn war, dass der Militärtrupp, der ihn aufgespürt hatte, zunächst gar nicht wusste, wer ihm da ins Netz gegangen war. Deshalb wurde der Mann, der jetzt notgedrungen behauptete, er wolle als Freiwilliger zum Militär, nur mit leichter Eskorte nach Limburg zum Rekrutierungsbüro gebracht. Pech für ihn war, dass er hier erkannt und verraten wurde. 40.000 Zuschauer sahen bei der Hinrichtung in Mainz zu, selbst Touristen aus England ließen sich das Schauspiel nicht entgehen.

Wie einfach es war, aus dem üblen Verbrecher Schinderhannes einen edlen Räuber zu machen, belegt Scheibe an einem aus einem Gerichtsprotokoll überlieferten Beispiel. Darin wird von einem Überfall auf eine Gruppe von 45 Juden berichtet, den der Schinderhannes mit einigen Spießgesellen an der Nahe verübte. Die zu Tode Erschrockenen mussten ihre Geldbörsen abliefern. Doch der Schinderhannes ließ ihnen die wenigen Kreuzer und Waren, die sie mitführten. „Romanschreiber und Presse haben ganz schnell einen Robin Hood daraus gemacht“, berichtet Scheibe, weil der Schinderhannes ausgesagt hat, er habe die Ware zurückgegeben. Nur 5 Zeilen weiter aber hätten sie lesen können, dass er ihnen die Waren zurückgegeben hat, weil er versehentlich eine Gruppe Betteljuden überfallen hat, die eigentlich nichts Gescheites dabei hatten.

Bereits während seiner Haftzeit kam es schon zur Legendenbildung. Groschenhefte erschienen, Romane, Erzählungen und Presseberichte. Sie kolportierten häufig genug das Bild vom edlen Räuber Schinderhannes, dem Mark Scheibe seine „Ermittlungsergebnisse“ entgegensetzt. Dabei führten ihn Archiv- und Forschungsreisen unter anderem bis nach Brasilien. Hier gelang es ihm, Nachfahren von deutschen Auswanderern aufzuspüren, die anscheinend noch vor der in Deutschland einsetzenden Legendenbildung emigriert waren. Diese Hunsrücker und Hessen hatten ein, wie Scheibe am Schluss seines mit viel Beifall bedachten Vortrags darlegte, noch „unbefangenes, unbeeinflusstes Bild“ von ihm: „Dort ist er ein Nichtsnutz, einer, der anderen seine Hilfe anbietet und dann doch nicht kommt!“

Dr. Joachim Meißner

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