Dr. Tobias Busch: Von Amtsträgern und Musketieren unbeeindruckt

Wetterauer Zeitung, 27.01.2011

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Erster Vortrag des Jahres beim Geschichtsverein – Dr. Tobias Busch spricht über -widerspenstige Köpf von Fauerbach

von Lothar Kreuzer

 

Im ersten, gut besuchten Vortrag des Jahres beim Friedberger Geschichtsverein sprach Dr. Tobias Busch aus Kassel unter dem Titel: Die „unruhige, widerspenstige Köpf“ von Fauerbach über die Beziehungen zwischen der kleinen Reichsgrafschaft Solms- Rödelheim mit Sitz in Assenheim und ihren einzelnen Gemeinden zu Ende des 18. Jahrhunderts. Er konnte dabei zurückgreifen auf Forschungen im Rahmen seiner 2007 erschienenen Dissertation „Herrschen durch Delegation“, für die er den Wissenschaftspreis für Landesgeschichte des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst erhielt. Aufgrund der günstigen Quellenlage vor allem im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt ließ sich das Verhältnis von Ökonomie und Herrschaft am Beispiel von Solms- Rödelheim gut nachvollziehen. Entwicklungen im Hochadel und lokale Geschichte sind hier gerade für Konflikte und Krisen dokumentiert, die Rolle der einzelnen Gemeinde wird greifbar. Die Solms- Rödelheimer haben es verstanden, ihre Existenz zu sichern, indem sie nach dem Vorbild größerer Territorien früh das Erbrecht des Erstgeborenen (Primogenitur) eingeführt, ihren Besitz durch geschickte Heiratspolitik vergrößert und die Wahrnehmung von Rechten und Pflichten delegiert haben.

Dr. Busch demonstrierte an drei ausgesuchten Begebenheiten das „widerspenstige“ Verhalten der Fauerbacher Untertanen, das aber für die Zeit nicht untypisch oder besonders aufsässig war. 1772 wollten die Grafen die Steuererhebung neu ordnen und zentral organisieren. Ein Steuerregister sah für jeden Einzelnen einen festgelegten Betrag vor. Ein Amtsträger sollte vor Ort die Gelder eintreiben. Dem widersetzten sich die Fauerbacher, die das alte Verfahren beibehalten wollten, in dem die für eine Gemeinde festgelegte Gesamtsumme nach Beschluss der Gemeindeversammlung unter Federführung der Bürgermeister eingesammelt wurde und bei ihr die Entscheidung über die individuellen Beträge lag. Die Gemeinde als politisch- soziale Einheit ließ sich von den Amtsträgern, die von zwei Musketieren unterstützt wurden, nicht beeindrucken, die beiden Bürgermeister und finanzstarke „Rebellen“ überstanden das Untersuchungsverfahren. Das Geld wurde wie gewohnt eingesammelt und Bürgermeister Thomas steuerte zur Deckung der Gesamtsumme einen namhaften Betrag bei. So verhinderte gemeindliche Solidarität einen gesteuerten Zugriff der reichsgräflichen Administration.

Außer durch die Obrigkeit wurden viele Stellen durch Mehrheitsbeschluss der Gemeindeversammlung besetzt. Die Gewählten wurden von den Reichsgrafen dann bestätigt und vereidigt. Probleme gab es bei den Feldschützen des Jahres 1775. Eine Versammlung in der Wirtsstube von Rudolf Ernst erklärte deren Absetzung, sie wurden später mit Stöcken an ihrer Arbeit gehindert und ihre Familien persönlich bedroht. Die alten Feldschützen führten ihre Aufgabe weiter. Ein Hilfegesuch brachte keine Abhilfe, der verhängten Strafzahlung und einer Vorladung konnten die Betroffenen sich entziehen, auch im Vertrauen darauf, dass der Obrigkeit die Möglichkeiten zu konsequenter Strafverfolgung fehlten. Die Abgesetzten verließen das Dorf, ihr weiteres Schicksal ist nicht dokumentiert.

Als drittes Konfliktpotential stellte Dr. Busch die Nutzung der Allmende vor (Allmende: Land in Gemeindebesitz). Da die Finanzsituation der Solms- Rödelheimer oft angespannt war, suchte man ständig nach Methoden der Sanierung. Gut argumentieren ließ sich mit dem „gemeinen Nutzen“. 1770/71 kam es zum Streit beim „Gemeinen Heu“. Die Regierung wollte es meistbietend versteigern lassen, in der Gemeinde war man aber bereit, es aus sozialen Gründen auch billiger abzugeben. Die Fauerbacher unterliefen das Verfahren erfolgreich, indem sie das Heu heimlich vorab verkauften und bei der offiziellen Auktion keine Gebote abgaben. Sie hatten sich schriftlich gegenseitig ihres Zusammenhalts versichert; gegen das Kollektiv griffen dann die ordnungspolizeilichen Maßnahmen nicht.

Die Beispiele zeigten, wie man sich als Gemeinde, ohne grundsätzlich die Auflagen der Obrigkeit in Frage zu stellen, dem herrschaftlichen Zugriff entziehen konnte und vor Ort aus Sicht der Untertanen praktischere und einvernehmlichere Regelungen treffen konnte. Mehrere Gemeinden, die sich zusammengetan hatten, konnten sogar einen zehnjährigen Rechtsstreit durch die Instanzen durchstehen.
Weil kleine Landesherrschaften wie Solms- Rödelheim sich mit ihren Gemeinden arrangierten und auch überregional ein System an Delegation zur Vertretung ihrer Herrschaftsinteressen organisierten, konnten sie bis zum Ende des Alten Reiches 1806 ihre Existenz sichern.

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