Dr. Michael Matthäus: Reichsgesetzbuch oder nur „ein nichtsnutziges Stück Pergament?“

Wetterauer Zeitung, 15.02.2006

»Dr. Michael Matthäus: Reichsgesetzbuch oder nur „ein nichtsnutziges Stück Pergament?“«

Dr. Michael Matthäus sprach über 650 Jahre Goldene Bulle

von Lutz Schneider

 

Vor 650 Jahren bestimmte die Goldene Bulle Frankfurt zum Wahlort der Könige. Frankfurt feiert dieses Jubiläum ab dem 30. September mit einem großen Ausstellungsprojekt, an dem sich das Institut für Stadtgeschichte, das Historische Museum, das Jüdische Museum und das Dommuseum beteiligen.
Für den Friedberger Geschichtsverein war das Jubiläum Anlass genug, mit Dr. Michael Matthäus vom Institut für Stadtgeschichte einen der Ausstellungsmacher ins Bibliothekszentrum Klosterbau einzuladen. In seinem Vortrag ging Dr. Matthäus auf die inhaltlichen Bestimmungen, die äußere Form und die Rezeption dieser bedeutendsten Reichsurkunde ein.
Mit dem „Grundgesetz“ des Alten Reiches regelte Kaiser Karl IV. die Frage der deutschen Königswahl. Dies war umso nötiger, da es vorher immer wieder zu Doppelwahlen oder zur Wahl eines Gegenkönigs gekommen war und in der Folge zu politischen und militärischen Konflikten.
Auf den Hoftagen in Nürnberg und Metz verhandelte Karl mit den Kurfürsten des Reiches und fasste die Ergebnisse dieser Verhandlungen in der Goldenen Bulle von 1356 zusammen. In ihr wurde die Wahl des deutschen Königs durch die sieben Kurfürsten nach dem Mehrheitsprinzip festgelegt. Zum Wahlort wurde Frankfurt, zum Krönungsort Aachen bestimmt und der erste Reichstag sollte jeweils in Nürnberg stattfinden.
Allerdings fanden seit 1562 auch die Krönungen in Frankfurt statt..
Ihren Namen erhielt die goldene Bulle von dem goldenen Siegel (lat. bulla=Metallsiegel), das an Stelle des sonst üblichen Wachssiegels verwendet wurde und die besondere Bedeutung der Urkunde unterstreichen sollte. Später ging dann die Siegelbezeichnung auf die gesamte Urkunde über.
Zunächst erhielten nur fünf der sieben Kurfürsten eine Ausfertigung der Urkunde, später ließen sich auch die Reichsstädte Nürnberg und Frankfurt besiegelte und damit rechtlich vollgültige Exemplare ausstellen. Frankfurt bekam sein Exemplar 1366 und da es bei jeder Wahl zu Rate gezogen wurde, hielt man es schließlich sogar für das Reichsexemplar.
Die in der Literatur immer wieder kolportierte Mitwirkung des Bischofs Rule von Friedberg am Text der goldenen Bulle in seiner Eigenschaft als kaiserlicher Rat und Notar lässt sich nach Dr. Matthäus nicht aufrecht erhalten, da Rule sich während des Abfassungszeitraumes der Bulle nachweislich in diplomatischer Mission in England und Frankreich aufgehalten hat. Die aus 44 Pergamentblättern bestehende Urkunde avancierte seit dem 17. Jahrhundert immer mehr zur Touristenattraktion. Gezeigt werden durfte sie zunächst nur hochgestellten Persönlichkeiten, darunter auch dem jungen Goethe als Sohn eines kaiserlichen Rats. Bald danach konnte sie aber jedermann gegen die stattliche Gebühr von einem Dukaten besichtigen. Aufbewahrt wurde sie seit dem 17. Jahrhundert in der Frankfurter Stadtkanzlei im Römer, unterbrochen nur von mehrfachen Auslagerungen während der französischen Besetzung Frankfurts Ende des 18. Jahrhunderts.
Seit 1937 zeigte man die goldene Bulle auf Wunsch von Oberbürgermeister Krebs im Kurfürstenzimmer im Römer und bei seinem Frankfurt Besuch im Jahr 1938 erhielt Adolf Hitler eine deutsche Übersetzung aus dem 15. Jahrhundert, die seitdem verschollen ist. Eine weitere deutsche Übersetzung aus dem Jahr 1371, die seit Kriegsbeginn anstelle des Originals im Kurfürstenzimmer ausgestellt war, fiel 1944 den Bombenangriffen zum Opfer. Die Originalausfertigung von 1366 überstand dagegen den Zweiten Weltkrieg in einem Sparkassentresor in Neustadt an der Saale.
Glücklich von dort nach Kriegsende zurückgekehrt liegt sie seit 1969 in der Privilegienkammer des Stadtarchivs, dem heutigen Institut für Stadtgeschichte in Frankfurt.
1806 endete das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und die goldene Bulle verlor ihre Rechtskraft. Literarisch fand sich die goldene Bulle in Lobgedichten und der Reiseliteratur wieder, auch Goethe berichtete in „Dichtung und Wahrheit“ mit großer Ehrfurcht von seinen Eindrücken bei der Besichtigung. Das Verdikt des Frankfurter Dichters Ludwig Börne, der sie als „nichtsnutziges Stück Pergament“ bezeichnete, wird ihrer geschichtlichen Bedeutung und ihrer bis heute andauernden Faszination aber sicherlich nicht gerecht. Wer also ein Blick auf das Original werfen möchte, sollte sich die Ausstellungen in Frankfurt nicht entgehen lassen, die auch das Ziel einer Exkursion des Friedberger Geschichtsvereins im Herbst sein werden.
Lutz Schneider

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