Dr. Hartmut Heinemann: Die jüdischen Friedhöfe in Hessen

WZ, 19.02.2009

»Dr. Hartmut Heinemann: Die jüdischen Friedhöfe in Hessen«

Dr. Hartmut Heinemann: Die jüdischen Friedhöfe in Hessen am 19. Februar 2009

von Johannes Kögler

 

Vortrag beim Friedberger Geschichtsverein: Dr. Hartmut Heinemann: Die jüdischen Friedhöfe in Hessen am 19. Februar 2009 Auf Einladung des Friedberger Geschichtsvereins referierte Dr. Hartmut Heinemann aus Wiesbaden im gut besuchten Klosterbau über die jüdischen Friedhöfe in Hessen, mit einem besonderen Blick auf Friedberg. Der Vortrag war Teil des Begleitprogramms zur Ausstellung „Fragmente jüdischer Geschichte in Friedberg“ im Wetterau-Museum. Dr. Hartmut Heinemann war Archivar am Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden, wo er über 25 Jahre ein Projekt der dort ansässigen „Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen“ betreute, das die wissenschaftliche Erfassung und Bearbeitung der alten jüdischen Friedhöfe in Hessen zum Ziel hatte. Rund 75 Friedhöfe mit 17.000 Grabinschriften wurden erfasst. Inzwischen sind die Ergebnisse teilweise im Internet abrufbar, über das „Landesgeschichtliche Informationssystem Hessen (LAGIS)“ auf der Seite des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde in Marburg ( www.hlgl.de). In einem ausführlichen allgemeinen Teil gab Dr. Heinemann einen Überblick über die jüdischen Friedhöfe in Hessen und erläuterte die historischen Zusammenhänge und Entwicklungen vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Im Bundesland Hessen gibt es heute noch rund 350 jüdische Friedhöfe. Davon stammen etwa 100 aus der Zeit bis um 1800, weitere 100 aus der 1. Hälfte und 120 aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts; ca. 30 Friedhöfe wurden im 20. Jahrhundert bis in die NS-Zeit neu angelegt. Ältester Friedhof in Hessen in Frankfurt am Ludwig-Börne-Platz mit erhaltenen Grabsteinen ab 1276. Der Frankfurter Friedhof ist damit nach Worms der zweitälteste jüdische Friedhof in Deutschland. Er hat als einziger mittelalterlicher Friedhof in Hessen trotz schwerer Schädigungen in der NS-Zeit wenigstens in Teilen bis zur Gegenwart überdauert. Im späten Mittelalter bestatteten die Juden der kleineren Städte oder vom Land ihre Toten oft auf den Zentralfriedhöfen der großen Städte. So hatte der Frankfurter Friedhof einen Einzugsbereich, der von Aschaffenburg bis Wetzlar reichte und auch Friedberg mit einschloss. Heinemann charakterisierte die Geschichte der jüdischen Friedhöfe als Spiegelbild jüdischer Ansiedlungspolitik in den Territorien des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Nachdem die Juden im Mittelalter unter dem besonderen Schutz des Königs standen, wurde dieses so genannte Judenregal (königliches Hoheitsrecht) im Spätmittelalter auf die Landesherren übertragen. Diese bestimmten nun, wo sich Juden niederlassen durften, und nicht etwa die Juden selbst. So betrieben zum Beispiel die größeren Territorialherren eine andere, eher restriktive Ansiedlungspolitik als die Angehörigen des niederen Adels, die oft die Ansiedlung von Juden gezielt förderten. Jüdische Friedhöfe gab es daher außer bei den Reichsstädten sowohl auf dem Lande, oft in Form großer Sammelfriedhöfe mit weitem Einzugsgebiet, als auch in und bei den Residenzstädten. Mit dem Ende des Alten Reiches und der Judenemanzipation im 19. Jahrhundert kam es wiederum zu neuen Entwicklungen. In der NS-Zeit und insbesondere in der Pogromnacht 1938 erlitten zahlreiche jüdische Friedhöfe Schändungen und Zerstörungen, die allerdings an verschiedenen Orten aufgrund der jeweils besonderen lokalen Situation sehr unterschiedlich ausfallen konnten. So sind einige jüdische Friedhöfe gut erhalten, andere ganz oder weitgehend zerstört. Heute stehen sie allesamt unter Denkmalschutz. Im zweiten Teil des Vortrags wurde das zuvor gesagte mit projizierten Bildern anschaulich belegt und ein Eindruck von der besonderen Atmosphäre dieser Friedhöfe vermittelt. Eine Reihe von Friedhöfen unterschiedlichen Alters und Größe wurden im Bild vorgestellt, darunter der jüdische Friedhof von Alsbach an der Bergstraße mit 2000 erhaltenen Grabsteinen, der Frankfurter Friedhof und aus der Wetterau der von Gambach. Darüber hinaus wurden Beispiele von Grabsteinen gezeigt, die teils nur hebräische Inschriften aufweisen, teils zweisprachig beschriftet sind. Die drei jüdischen Friedhöfe in Friedberg Von besonderem Interesse für das heimische Publikum war der dritte Teil des Vortrags, in dem Heinemann auf die Geschichte der Friedberger Judenfriedhöfe einging. Von dem ältesten, mittelalterlichen Friedhof, der vor den Mauern der Stadt lag, ist außer einem Grabstein, der im Wetterau-Museum ausgestellt ist, nichts mehr erhalten. Er befand sich im Bereich des Haingrabens südlich der Mainzer-Tor-Vorstadt, nahe des äußeren Mainzertores, heute zu lokalisieren im Abschnitt der Mainzer-Tor-Anlage zwischen Kaiserstraße und Leonhardstraße. Ein „neuer“ jüdischer Friedhof ist 1523 erstmals in den Quellen belegt; er lag ebenfalls außerhalb der Stadtmauern, westlich der so genannten Holzpforte. Dieser Friedhof erfuhr im 20. Jahrhundert ein trauriges Schicksal, welches dazu führte, dass lediglich zwei Freiflächen zu beiden Seiten der Ockstädter Straße sowie ein Gedenkstein an ihn erinnern – erhalten sind nur vier von einst hunderten von Grabsteinen. Im Jahr 1900 beschloss der Kreisausschuss des Kreises Friedberg, zuständig für die Kreisstraßen, eine Begradigung der Ockstädter Straße, vor allem, um das starke Gefälle auszugleichen. Durch diese 1905 abgeschlossene Maßnahme wurde der Friedhof in zwei Teile geteilt. 1930 plante die jüdische Gemeinde eine Erweiterung des Friedhofs, welcher inzwischen weitgehend belegt war. Bereits 1872 hatte sie ein Nachbargrundstück angekauft, zwei weitere dann um 1930. Um die kommunale Zustimmung zur Nutzung der neuen Teile als Friedhof wurde ab dieser Zeit sowohl im Stadtrat als auch in der Öffentlichkeit heftig gerungen. Es bildeten sich Bürgerinitiativen gegen die Erweiterung, deren Unterschriftensammlungen erhalten sind. Vordergründig spielte hier weniger ein stärker werdender Antisemitismus eine Rolle, als vielmehr der konkrete Widerstand der Anwohner. Tatsächlich stimmte im Oktober 1930 der Stadtrat einer Erweiterung zu und schloss 1931 einen entsprechenden Vertrag mit der Jüdischen Gemeinde. Mit der Machtergreifung der Nazis 1933 änderte sich die Lage. Nun gab es breite Mehrheit gegen die Erweiterung und für eine Verlegung, der 1931 geschlossene Vertrag wurde gekündigt. Erneut gab es zähe Verhandlungen. Im Mai 1934 erfolgte die Schließung des alten und die förmliche Einweihung des neuen Friedhofs auf der Oberwöllstädter Höhe weit außerhalb der Stadt. Er war für wenigstens 400 Gräber geplant. Dort sind bis heute 13 Grabsteine aus dem Zeitraum von 1934 bis 1939 erhalten. Die unbelegten Teile des alten Friedhofs an der Ockstädter Straße gingen 1934 in das Eigentum der Stadt über. Eine vertragliche Zusage, dass 20 Personen, die bereits ein Liegerecht erworben hatten, noch bis 1944 dort bestattet werden dürften, wurde später nicht eingehalten. Im Pogrom des 9. bzw. 10. November 1938 wurde auch der jüdische Friedhof geschändet. Was dort genau geschah, ist nicht überliefert; wahrscheinlich wurden, wie andernorts auch, Grabsteine umgeworfen, Inschrifttafeln zerschlagen, das Eingangstor und die Einfriedung gewaltsam beschädigt. Der desolate Zustand bot danach Anlass, eine endgültige Beseitigung der sichtbaren Reste, also der Grabsteine, anzugehen. Anfang 1939 kaufte die Stadt der jüdischen Gemeinde die dieser noch verbliebenen Immobilien, darunter auch Teile des alten Friedhofs, für einen symbolischen Preis ab. Zu der damals offen ausgesprochenen Abräumung des Friedhofs war es aber bis 1942 nicht gekommen; zu dieser Zeit standen oder lagen noch viele Grabsteine aus dem Friedhof. 1943 wurden die verbliebenen Steine an zwei Friedberger Handwerksbetriebe abgegeben und wohl anschließend vollständig zerstört. Als im Jahr 1944 Friedberg bombardiert wurde und Bomben auf dem alten jüdischen Friedhof tiefe Löcher schlugen, gab es schon keine Grabsteine mehr. Letztlich blieben nur vier Grabsteine dieses Friedhofs erhalten, die heute in dem kleineren, etwas versteckt liegenden Teil nördlich der Ockstädter Straße stehen. Mit ihrer Datierung zwischen 1737 und 1859 sprechen sie vom hohen Alter des Friedhofs und bezeugen zugleich den kulturellen Verlust des alten Friedberger Judenfriedhofs. Der Vorsitzende des Geschichtsvereins, Hans Wolf, dankte dem Referenten für seinen aufschlussreichen Vortrag und eröffnete die Fragerunde, die vom Publikum rege genutzt wurde, insbesondere mit Fragen zur Friedberger Situation. Johannes Kögler Fotos / Bildunterschriften: Dr. Hartmut Heinemann aus Wiesbaden im Bibliothekszentrum Klosterbau (Foto: Lutz Schneider) Der jüdische Friedhof in Friedberg an der Ockstädter Straße (um 1934) (Foto: Stadtarchiv Friiedberg)

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