Boris Olschewski: Ende der Reichsunmittelbarkeit der Burg Friedberg

Wetterauer Zeitung, 18.10.2006

»Damals eine Besonderheit unter allen ehemaligen Reichsburgen«

Aufhebung der Reichsunmittelbarkeit: Allein die Burg Friedberg hatte vor 200 Jahren ihre Herrschaftsrechte bis zum Ende des Alten Reichs erhalten können

von Wolfgang Schmidt


Boris Olschewski: Ende der Reichsunmittelbarkeit der Burg Friedbergg
Boris Olschewski

Friedberg ( ws ). Die Aufhebung der Reichsunmittelbarkeit der Burg und deren territoriales Aufgehen in einen anderen Reichsstand im Jahre 1806 waren für den Friedberger Geschichtsverein Anlass, einen anerkannten Spezialisten in Fragen historischer Herrschaftswechsel um einen Vortrag zu bitten. Boris Olschewski, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Trier, referierte bereits im November 2001 zum Thema Besitznahme von Reichsstadt und Burg durch Hessen- Darmstadt aus Sicht von Stadt und Burg sowie der neuen Obrigkeit. Um nicht auf singulären Beobachtungen zu fußen, wählte er im Rahmen seiner Dissertation als Vergleich mit Friedberg die oberschwäbische Reichsstadt Biberach, deren Schicksal den Vorgängen in Friedberg vielfach ähnelte, wobei allerdings die Maßnahmen der besitznehmenden Territorien – Baden und Württemberg im Falle Biberachs und Hessen-Darmstadt im Falle Friedbergs – ziemliche Unterschiede aufwiesen.

Die der Französischen Revolution ab April 1792 folgenden Kriege zwischen Frankreich und den anderen europäischen Großmächten ( Koalitionskriege ) ermöglichten den siegreichen Franzosen die Verschiebung ihrer Ostgrenze bis zum Rhein, womit die militärisch unterlegenen Reichsfürsten ihre linksrheinischen Besitzungen verloren. Sie verlangten Entschädigung, die sie zuerst in den zahlreichen geistlichen Territorien sowie den Reichsstädten fanden. Das auf dem Reichstag in Regensburg verabschiedete letzte Reichsgrundgesetz des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, der sog. Reichsdeputationshauptschluss, besiegelte 1803 die neuen Besitzverhältnisse, ohne jedoch weitere Herrschaftswechsel zu verhindern, da Napoleon zunehmend mehr Reichsfürsten in sein Bündnissystem zwang und ihnen als Gegenleistungen Gebietszuwächse auf Kosten mindermächtiger Reichsstände in Aussicht stellte.

Die Herrschaftswechsel betrafen 1802 auch die Reichsstadt Friedberg und 1806 die kaiserliche Burg. Als Hessen-Darmstadt zunächst von der Reichsstadt Friedberg Besitz ergriff, wurde dieser räumlich bis vor das Burgtor ausgedeht und bezog die Judengasse mit ein. Damit verlor der Burggraf bereits damals herrschaftliche Rechte an der Stadt, die ihm seit dem 13. Jahrhundert in Gestalt von Schutzgeldern der Judenschaft und Strafgeldern zustanden. 1804 wurde die Burg in einer Nacht- und Nebelaktion von Hessen-Darmstadt kurzfristig militärisch besetzt, ehe sie 1806 mit dem hessen-darmstädtischen Staat vereinigt wurde. Allerdings gelang es dem letzten Burggrafen, Burggraf von Westfalen, dank seines diplomatischen Geschicks, Napoleon dazu zu bringen, ihm gewisse Vorrechte an der Burggrafschaft auf Lebenszeit, d.h. bis 1818, zu belassen.

Ein Schwerpunkt des Vortrags lag auf den Rechtfertigungsstrategien in Bezug auf die Okkupation, insbesondere in Gestalt der Besitzergreifungspatente. Die für den Vollzug der Herrschaftswechsel juristisch und politisch wichtigen Dokumente bestanden grundsätzlich aus Namen und Titel des Urkundenausstellers, Grußformel mit Benennung des Empfängers, dem zu vollziehenden Rechtsakt und dessen Begleitumständen. Neben der expliziten Besitznahme werden unterschiedliche Forderungen genannt, häufig vermischt mit Zugeständnissen und Strafandrohungen. Unterschrift und Siegel beschließen die Urkunde. Die Dokumente wurden in der Regel in allen größeren und kleineren Ortschaften an Kommunikationszentren, wie Rathäusern, Kirchen, Schulen, Stadttoren, Hospitälern und öffentlichen Plätzen angebracht und unter Trompetenschall verlesen. In ihrer Gestaltung folgten sie dem weit in das Mittelalter zurückreichenden Formularaufbau von Urkunden und hatten dadurch schon äußerlich legitimierende Wirkung. Im Kontext von Herrschaftswechseln, als gewohnte politische Ordnungen wegbrachen, war es nötig bzw. herrschaftsstabilisierend, auf bekannte und anerkannte Ordnungsmuster zu setzen. Sie wurden in ihrem legitimatorischen Gehalt in der politischen Umbruchsituation auch immer wieder Änderungen unterworfen.

Grundsätzlich lässt sich der „provisorische Typus“ eines Besitzergreifungdsdokuments vom „endgültigen Typus“ unterscheiden. Die ersten Besitznahmen erfolgten bereits, als die Verhandlungen der Reichsdeputation in Regensburg gerade begonnen hatten. Um den Neu-Untertanen Zeit zu gewähren, sich an die geänderten Verhältnisse zu gewöhnen, wurden die Entschädigungslande zunächst provisorisch und ein paar Monate dann endgültig im Rahmen einer erneuten Besitznahme, der so genannten „Zivilbesitznahme“ okkupiert. Charakteristisch für den provisorischen Typus sind Hinweise auf unsichere Rechtsverhältnisse und konziliante Untertöne. Hessen-Darmstadt verfasste für die provisorisch-militärische Besitznahme, u. a. der Reichsstadt Friedberg, allerdings kein Besitzergreifungspatent. Der Besitzergreifungskommissar Günderode hatte mündlich dem Magistrat von Friedberg die Okkupation anzuzeigen. Er erschien am 11. September 1802 in Begleitung von knapp 240 Mann, für deren Unterbringung die Friedberger aufzukommen hatten.

In den Patenten der Zivilbesitznahme ist wesentlich, dass durch deren Formulierung die neuen Regierungen von jedem Verdacht der machtstaatlichen Expansion losgesprochen werden sollten. Dass die Gebietszuteilungen zum einen durch die mit Bestechungszahlungen gefügig gemachten Vertreter Frankreichs und zum anderen durch die eigenen Vertreter in der Reichsdeputation erwirkt wurden, wird so erfolgreich verschleiert.

Schließlich manifestierten die Zusammenschlüsse der deutschen Fürsten unter Napoleons Rheinbund und die Auflösung des deutschen Reichsverbandes 1806 neue politische Verhältnisse. Die diesbezüglichen Besitzergreifungsdokumente fußten auf der Rheinbundakte. Anders als in den Vorjahren betrafen die Besitznahmen 1806 vielfach auch Fürsten, die den neuen Landesherren ebenbürtig waren, und hochrangige Grafengeschlechter, die in der Rheinbundakte als sogenannte „Standesherren“ mit zahlreichen Sonderrechten bedacht wurden. In Hessen-Darmstadt stellte die Verleihung der Souveränität, die Annahme des Großherzogtitels sowie die Zusammenlegung aller Landesteile zur Beförderung der Wohlfahrt einen Maßnahmenkatalog dar, der sowohl die neuesten Besitznahmen als auch die Auflösung der Landstände rechtfertigen sollte. Die rechtssetzende Instanz war jetzt das napoleonische Frankreich, das in Paris den Rheinbundstaaten die Souveränität über ihre neuen Besitzungen verlieh und diese in Anwesenheit ihrer Kommissare und ihres Militärs vor Ort den neuen Machthabern übergab.
In der Burg Friedberg geschah dies am 12. September 1806 um 8.00 Uhr morgens. Wie die Studien des Referenten ergaben, hatte damit von sämtlichen ehemaligen Reichsburgen allein die Burg Friedberg ihre Herrschaftsrechte bis zum Ende des Alten Reichs erhalten können und ist insofern eine Besonderheit. Zudem ist interessant, dass die Besitznahme der Burg, anders als im Falle der Stadt, zu diesem Zeitpunkt keine „ Mediatisierung“ darstellt, worunter in der historischen Forschung im weitesten Sinne die Aufhebung der unmittelbaren Beziehung zu einer übergeordneten hoheitlichen Gewalt durch einen dazwischen tretenden regionalen Herrschaftsträger verstanden wird. Nach Niederlegung der Kaiserkrone durch Ferdinand II. am 6. August 1806 und der de facto dadurch einsetzenden Auflösung des Reiches war im Falle der Reichsburg Friedberg die Herstellung einer solchen mediaten Beziehung nicht mehr möglich. Die detaillierten, von eingehenden Recherchen untermauerten Ausführungen des Referenten vermittelten ein eindrucksvolles Bild von den großen Umwälzungen dieser Zeit und den mit ihr verbundenen vielfältigen politischen Aktivitäten und einschneidenden Maßnahmen.

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