Dr. Alix Cord: Bauern als -faule, dumme, versoffene Leute-

Wetterauer Zeitung, 23.02.2011

»Dr. Alix Cord: Bauern als -faule, dumme, versoffene Leute-«

Vortrag von Dr. Alix Cord beim Geschichtsverein über die wechselhafte Historie des Hofguts Wickstadt

von Reinhard Schartl

 

Zu seiner zweiten Vortragsveranstaltung dieses Jahres konnte der Friedberger Geschichtsverein Dr. Alix Cord begrüßen, die über das agrarhistorische Thema „Das Hofgut Wickstadt. Gutswirtschaft in der Wetterau“ referierte. Dr. Cord ist bereits durch Veröffentlichungen über dieses Thema hervorgetreten, das, wie der voll besetzte Zuhörerraum des Bibliothekszentrums belegt, auf breites Interesse stößt. Die Referentin führte aus, dass Wickstadt mit einer landwirtschaftlichen Fläche von 300 ha zuzüglich eines Waldanteils als größtes Hofgut der Wetterau gilt. Es entstand, als dem Kloster Arnsburg im 13. Jahrhundert Land im Dorf Wickstadt durch Schenkung zufiel. Die Mönche bauten das Gut zu einer großen landwirtschaftlichen Betriebseinheit (Grangie) aus, in die noch im selben Jahrhundert das benachbarte Dorf Sternbach einbezogen wurde. Als im 14. Jahrhundert die Bedeutung der Grangien durch die Pestepidemien und die Entwicklung der modernen Geldwirtschaft sank, begannen die Mönche, das Hofgut aufzuteilen und das Land als Pachtstellen zu vergeben. Dadurch bestand neben dem auf ein Viertel seiner früheren Größe geschrumpften Klosterhof die dörfliche Ansiedlung Wickstadt mit mindestens 11 Bauernhöfen. Die Bauern erhielten die Höfe zu sog. Landsiedelrecht (einem in Hessen verbreiteten, gegenüber der Erbpacht schwächeren Landnutzungsrecht) verliehen. Wie die Referentin eingehend erläuterte, kam es hier jedoch noch im 18. Jahrhundert zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung der Hofbesitzer, als die Arnsburger Mönche die Neuvergabe von Hofstellen dazu benutzten, Verträge abzuschließen, die keinen Anspruch der Pächter auf Rückerstattung von Investitionskosten und keine Pachtdauer enthielten, so dass die Verträge nach Belieben des Verpächters beendet werden konnten. Da den Wickstädter Bauern die Verträge nicht erläutert worden waren, glaubten sie, die Höfe zu Erbpacht oder mindestens zu Landsiedelrecht innezuhaben. Unklar bleibt allerdings, so Dr. Cord, aus welchem Grund die Mönche derart ungünstige Verträge mit den Pächtern schlossen. Die Auswirkungen sollten sich im 19. Jahrhundert zeigen. Mit der Säkularisation ging das Hofgut 1803 als Teil des Klosters Arnsburg in den Besitz der Grafen zu Solms über und wurde bei der Aufteilung der Güter zusammen mit dem Dorf Wickstadt dem Familienzweig Solms-Rödelheim zugeschlagen. Im Zuge der Mediatisierung der kleinen Reichsfürstentümer 1806 wurde Solms in die Provinz Oberhessen der zum Großherzogtum erhobenen ehemaligen Landgrafschaft Hessen-Darmstadt inkorporiert. Die gräfliche Verwaltung suchte nunmehr, die Einnahmen aus der Gutswirtschaft deutlich zu erhöhen, indem die Wickstädter Bauernhöfe wieder Teil des Hofgutes werden sollten. Als die Bauern sich diesen herrschaftlichen Plänen widersetzte, wurden sie von der gräflichen Rentkammer als „faule, dumme, versoffene Leute“ diffamiert, die man als unnütz loswerden müsse, weil ohne sie höhere Einnahmen zu erzielen seien. Bis 1831 gelang es der Rentkammer, das gesamte Dorf Wickstadt niederzulegen und die Bauern wegen Überschuldung und Unfähigkeit von ihren Pachtstellen zu entfernen. Dies wurde auch dadurch ermöglicht, dass deren Verträge entgegen der Annahme der Bauern keine feste Pachtzeit vorgesehen hatten. Weder die Verwendung des katholischen Pfarrers noch die Anrufung der Gerichte konnten den Bauern helfen. Ohne Entschädigung und nur gegen eine geringe Hilfszahlung mussten die Bauernfamilien aus Wickstadt wegziehen. Seit dieser grundlegenden Umstrukturierung, durch die das Dorf vollständig in dem Hofgut aufging, wird Wickstadt vom Haus Solms-Rödelheim verpachtet. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren Pächter die Familien Heil und Chelius, von 1927 bis 1970 der nach dem Zweiten Weltkrieg auch kurzfristig als hessischer Landwirtschaftsminister fungierende Karl Lorberg. Der nach den beiden Weltkriegen geübten Zerschlagung des Großgrundbesitzes in ganz Deutschland konnte Wickstadt entgehen, wobei nach dem Ersten Weltkrieg dem Anwesen zugute gehalten wurde, dass die Pächterfamilien ihre Erben im Krieg verloren hatten, während nach dem Zweiten Weltkrieg nach Einschätzung der Referentin die guten politischen Beziehungen Lorbergs nützlich waren. In einer Gesamtbewertung folgte Dr. Cord der Auffassung, dass die Niederlegung von Dörfern zur Intensivierung und Einnahmesteigerung der Gutswirtschaft das Eindringen des Kapitalismus in die Landwirtschaft und damit ein neues Element in der Regierungsweise der Grafschaft Solms-Rödelheim zeigte. An die mit viel Beifall bedachten klaren Ausführungen der Referentin schloss sich eine lebhafte Diskussion an, in der auch die heutigen Verhältnisse der Dorfgemeinschaft Wickstadt zur Sprache kamen. Der 1. Vorsitzende des Friedberger Geschichtsvereins, Lothar Kreuzer, dankte abschließend der Referentin sowie dem diskussionsfreudigen Publikum und wies auf den nächsten Vortrag am 17. März 2011 über die Baugeschichte der Burg Friedberg hin.

Reinhard Schartl

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