Odenwald-Exkursion

Wetterauer Zeitung, 16.09.2004

»Auf den Spuren Lichtenbergs und der Rodensteiner«

Letzte Exkursion des Geschichtsvereins in diesem Jahr führte in den Odenwald – Ganze Reihe interessanter Stationen

von Siegfried Biernoth

 

„Dass der Mensch das edelste Geschöpf sei, lässt sich auch schon daraus abnehmen, dass es ihm noch kein anderes Geschöpf widersprochen hat“. Lichtenberg.
Der Geburtsort des Verfassers dieses spitzzüngigen Aphorismus war die erste Station der Odenwaldexkursion des Friedberger Geschichtsvereins unter Leitung seines Vorsitzenden Hans Wolf. Hier, in Ober-Ramstadt, das einst zur Grafschaft Katzenelnbogen gehörte, zeugten schon im 16. Jahrhundert zahlreiche Mühlen und Eisenhämmer vom Gewerbefleiß der Bewohner. Im 19. Jahrhundert entwickelte es sich zu einem wichtigen Industriestandort der Region.
Das vom Verein für Heimatgeschichte getragene örtliche Museum beherbergt Sammlungen zur Frühgeschichte, zur industriellen Entwicklung und eine Ausstellung zu Leben und Werk des berühmtesten Sohnes des Ortes, des späteren Professors und Schriftstellers Georg Christoph Lichtenberg, der hier 1742 im Pfarrhaus als siebzehntes Kind des Ortspfarrers zur Welt kommt. Nach dem Besuch des Paedagogiums in Darmstadt geht Lichtenberg, mit einem Stipendium des hessischen Landgrafen versehen, zum Studium der Naturwissenschaften an die weltoffene, fortschrittliche Universität Göttingen und legt dort den Grundstock für seine universale Bildung. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er als Hofmeister englischer Kommilitonen, die ihm auch zwei Englandaufenthalte ermöglichen. Er wird früh außerordentlicher Professor der Philosophie in Göttingen, nennt sich selbst aber „Professor der außerordentlichen Philosophie“, um damit anzudeuten, dass er nicht dem Bild des herkömmlichen Gelehrten entsprechen will.
Seine mit physikalischen Experimenten aufgelockerten Vorlesungen werden weithin gerühmt und ziehen viele prominente Besucher an, unter ihnen auch J.W. von Goethe. Die persönlichen Lebensumstände des Professors gelten als eher anrüchig, lebt er doch als Dreißigjähriger mit einem fünfzehnjährigen Mädchen zusammen. Seine zweite Lebensgefährtin, seine Haushälterin, mit der er acht Kinder hat, heiratet er erst, als er sich 1789 dem Tode nahe glaubt, „um seine Familienverhältnisse zu ordnen.“
Bekannt ist Lichtenberg heute vor allem durch seine in den so genannten „Sudelbüchern“ gesammelten geistvollen Aphorismen und seinen ausgedehnten Briefwechsel mit bedeutenden Köpfen seiner Zeit. Zur Freude der Teilnehmer trug Hans Wolf einige der ironisch-geistvollen Aphorismen Lichtenbergs vor.
Im Ober-Ramstädter Museum sind Zeugnisse des Kampfes des Experimentalphysikers Lichtenberg gegen einen zeitgenössischen „Magier“, der mit seinen physikalischen Tricks Aufsehen erregte, ausgestellt. Zahlreiche Ausgaben der Aphorismen und eine umfangreiche Spezialbibliothek zu Lichtenberg und dem 18. Jahrhundert dienen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem berühmten Sohn der Stadt. Sammlungen zur Industriegeschichte führen sehr anschaulich in die Entstehung, die Blüte und den Niedergang des Kammmacherhandwerks ein, das heute vollständig erloschen ist. Von der regen Tätigkeit des Ober Ramstädter Autoherstellers Röhr zeugen zahlreiche hier ausgestellte Oldtimer.

Danach führte die Fahrt nach Lichtenberg. Hier bauten die Katzenelnbogener im 13. Jahrhundert auf einem beherrschenden Bergkegel im Fischbachtal eine Burg, die in die Literaturgeschichte durch einen Besuch Walthers von der Vogelweide am Hof derer von Katzenelnbogen eingegangen ist.
Nachdem die Grafschaft an die Landgrafen von Hessen übergegangen war, ließ Landgraf Georg I. gegen Ende des 16. Jahrhunderts auf den Grundmauern der Burg das Schloß für seine erste Gemahlin zur standesgemäßen Residenz in Südhessen im auch für Kranichstein und das Darmstädter Schloß beispielgebenden Renaissancestil umbauen.
Als 1634 die Pest Darmstadt heimsuchte, fand der gesamte Darmstädter Hof in Lichtenberg Zuflucht. Später war das Schloß Witwensitz, dann bis 1848 Sitz der Verwaltung. Heute beherbergt es ein Heimatmuseum, das als ständige Sammlungen Bilder und Zeichnungen des Odenwaldmalers Johannes Lippman, ein Zinnfiguren–Diorama mit Szenen aus der Weltgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, historisches Spielzeug aus dem Odenwald, z.B. die bekannten „Odenwälder Gäulchen“, sowie Zeugnisse zur Landschaftskunde und Geschichte des Lichtenberger Raumes präsentiert.

Über Reichelsheim, eine frühfränkische Siedlung und Hauptort der Herrschaft Fränkisch-Crumbach, führte die Exkursion zur Ruine der Burg Rodenstein. Sie entstand in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts als Trutzburg derer von Crumbach, die den Namen „Rodenstein“ annahmen. Die Rodensteiner waren ein berüchtigtes reichsfreies Rittergeschlecht, das – nachdem die Ritter ihre ursprüngliche Funktion verloren hatten -, zum Raubrittertum herabsank. In Frankfurter Akten werden die Rodensteiner denn auch als „notorische Räuber“ aufgeführt. Im 30-jährigen Krieg stirbt das Geschlecht aus, die Burg verfällt, die Bauern der Umgebung verwenden die Steine der Ruine zum Häuserbau. In lokalen Sagen, die auch von den Gebrüdern Grimm in ihre Sammlung aufgenommen wurden, leben die „Rodensteiner“ jedoch bis heute fort.
Wolf führte kenntnisreich in die Welt dieser Sagen ein und stellte lebendig und mit zahlreichen Beispielen dar, wie sich um einen historischen Kern (nächtliche Jagd- und Raubzüge der Ritter z.B.) „sagenhafte“ Geschehnisse ( wilde nächtliche Geisterjagden zwischen den Ruinen Burg Schellert und Rodenstein, die einen drohenden Krieg ankündigen) anlagerten; wie sich Dichter des Stoffes annahmen, so vor allem Viktor von Scheffel, der von einem nächtlich randalierenden Rodensteiner reimt, der in Heidelberg ganze Dörfer vertrunken hat; wie daraufhin ein Odenwälder Patriot zur Ehrenrettung ein Gegengedicht verfasst und wie im 20. Jahrhundert der aus dem Baltikum stammende Schriftsteller Werner von Bergengruen den Rodenstein besucht, sich von den Bauern der Umgebung die alten Sagen erzählen läßt und das „Buch Rodenstein“ schreibt, eine poetische Verdichtung der zeitlosen Botschaft der Sagen um die Burg und ihre Bewohner.

In der evangelischen Kirche von Fränkisch Crumbach konnte das Grabmal Hans III. von Rodenstein besichtigt werden: ein detailreiches naturalistisches Denkmal nach der Totenmaske, das vermutlich in spätgotischer Zeit entstanden ist. Von Hans III. wird erzählt, er sei, um Absolution von seinen Untaten zu erlangen, nach Rom gepilgert, aber vor Erlangung der Absolution gestorben und gehe deshalb bei Nacht um.
Im Schiff der Kirche erregt ein Standbild seines Sohnes, Hans IV., große Aufmerksamkeit. Der Rodensteiner wird von zwei Frauen flankiert: seine erste, früh verstorbene Gemahlin steht ihm zur Rechten, seine zweite Frau zur Linken. Früh schon hat sich eine Volkssage um diese Darstellung gerankt: Hans III. habe seine Frau hier zurückgelassen, als er zu einem Kriegszug aufbrach. Er sei in sarazenische Gefangenschaft geraten , jedoch von einer Sarazenin gerettet worden, die er zum Dank mit in die Heimat genommen habe. Die Kirche soll ihm dann – unter Berücksichtigung der besonderen Umstände – die Erlaubnis zu einer Doppelehe erteilt haben.
An der Wand eines Hauses neben der Kirche findet sich ein modernes Relief von Adam Winter aus dem Jahr 1935. Es stellt einen sagenhaften wilden Reiter dar, umgeben von zahlreichen Szenen mit Odenwälder Brauchtum aus allen vier Jahreszeiten.

Letzte Station der Fahrt war die Feste Otzberg. Sie dürfte eine fuldische Gründung zur Sicherung ihres Besitzes gewesen sein. Die Burg hatte eine sehr wechselvolle Geschichte, war bald pfälzisch, bald hessisch, diente zeitweilig als Kaserne, dann wieder als Staatsgefängnis. In der Kirche, die aus der Burgkapelle entstanden ist, hielten nach der Reformation die Protestanten ihre Gottesdienste, bis 1770 auch Katholiken das Recht des Mitgebrauchs erhielten und eine Pfarrei Otzberg errichtet wurde. – Ein kleines, sehr gepflegtes Museum unterrichtet die Besucher über Brauchtum, Heimat- und Erwerbsgeschichte des Odenwalds.

Mit dieser Exkursion beschloß der Friedberger Geschichtsverein die Reihe seiner diesjährigen Fahrten zu historischen Stätten. Die Teilnehmer dankten Hans Wolf, dem Initiator und Leiter der Erkundungsfahrten, die stets lebhaften Zuspruch finden, mit herzlichem Beifall und zeigten sich voller Erwartung auf die Veranstaltungen des Vereins im kommenden Jahr.
Im Internet www.wetterauer-zeitung.de

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